OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

68 und die Folgen: Nach Jahren, in denen Jean-Luc Godard gemeinsam mit Jean-Pierre Gorin abseits der kommerziellen Filmindustrie als Groupe Dziga Vertov seine marxistisch orientierten Cinétracts gedreht hatte, markierte „Tout va bien“ (1972) die Rückkehr der beiden Autoren und Regisseure zum Kino mit Stars und größerem Budget. Politisch gesehen ist „Tout va bien“ allerdings kaum weniger radikal und eröffnet auch gleich mit einer ebenso zynischen wie scharfsichtigen Analyse zur Frage, wofür man Stars eigentlich benötigt: Man braucht sie, um bei den Produzenten Geld lockerzumachen. Es steht zu vermuten, dass weder die Finanziers von Godard und Gorin noch die Hauptdarsteller Jane Fonda und Yves Montand wirklich wussten, worauf sie sich bei dem Projekt einließen, das sie dann nach Kräften demontiert. Fonda verkörpert in „Tout va bien“ eine amerikanische Radioreporterin in Paris, die gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten (Montand), einem ehemaligen Autor der Nouvelle Vague und jetzigem Regisseur von Werbefilmen, in einen wilden Streik in einer Wurstfabrik gerät. Der ist inszeniert wie absurdes kommunistisches Agitationstheater, und wie immer bei Godard erscheint dabei alles zugleich völlig ernsthaft und hintergründig komisch, ganz einfach und ungemein kompliziert: Da geht es unter anderem um die Frage, ob der Direktor auf die Toilette gehen darf oder nicht. Nach der Erfahrung mit dem Streik überdenkt das Paar schließlich seine Beziehung. Während sich für ihn kaum etwas verändert hat, gehört für sie neben Essen und Sex nun auch ein Bild von ihm bei seiner Arbeit zum Leben dazu. Und die Erkenntnis ist: Man muss sich historisch denken.

Auch nicht besonders leicht verdaulich sind die Filme von Ingmar Bergman: In seinem düsteren Drama „Die Zeit mit Monika“ (1953) analysiert der schwedische Regisseur die Beziehung eines jungen Paares, die den Belastungen des Alltags nicht standhält. Das Leben als Ehefrau und Mutter ist nämlich nichts für die aus schwierigen Verhältnissen stammende und ziemlich selbstsüchtige Monika (Harriet Andersson), die ihren Gatten, den sie bei einem Ferienflirt kennengelernt hatte, schließlich mit dem Kind sitzen lässt. Faszinierend ist dabei sowohl die animalische Erotik Anderssons als auch der unbedingte Freiheitswille ihrer Figur, die sich partout nicht ins gutbürgerliche Korsett pressen lassen will.

Nicht unbedingt als werkgetreue Literaturadaption, sondern eher als die schwarzhumorige Parodie eines Melodrams erweist sich Stanley Kubricks Verfilmung von Vladimir Nabokovs „Lolita“: Der pädophile Literaturdozent Humbert (James Mason), bei Nabokov noch diabolisches Monster und kläglicher Wicht gleichermaßen, wird im Film zum tragikomischen Opfer des Teenagers Lolita (Sue Lyon). Neben Mason brillieren in dem Film, der mit langen Einstellungen den Schauspielern viele Freiheiten einräumt, vor allem Peter Sellers mit absurden Improvisationen als Dichter Quilty und Shelley Winters als Lolitas halbgebildete und sexhungrige Mutter, die immer verzweifelter versucht, Humbert zu verführen. LARS PENNING

„Tout va bien“ (OmenglU) 13. 5. im Babylon Mitte

„Die Zeit mit Monika“ (OmenglU) 11. 5. im Arsenal

„Lolita“ (OF) 9. 5. im Babylon Mitte