Umworbene Bahngäste

betr.: „Nun mal halblang“, taz vom 2. 5. 08

Dieser taz-Diskussionsbeitrag gleitet in der endlosen Bahndiskussion auf der richtigen Schiene. Er zeigt das Kardinalproblem auf, das die Eisenbahn in Deutschland seit Anbeginn hatte: den Kameralismus – die hierarchische Organisations- und Denkstruktur in getrennten Blöcken. Fernverkehr, städtischer Nahverkehr, Verkehr der Fläche, Spezialverkehr, Gütertransport, Bahnhöfe, Immobilienbesitz usw.

Die Logik des Blockdenkens bedeutet Abschottung und Unflexibilität. Würde man die Bahnstruktur vernetzen, dann ergäbe dies eine erfolgversprechende Aufgabe für ein durchlässiges und innovatives Management. Die Kunden, die als umworbene Fahrgäste in unterschiedlichen Bereichen auftreten, würden von allen Dienstleistungen profitieren. Die Mitarbeiter sicherten ihre Arbeitszufriedenheit durch Mitbestimmung und tariflich vereinbarte Bezahlung. Bilanzierte man das Gesamtsystem, wären viele einzelne Systeme am Erfolg beteiligt, auch finanziell und ökologisch.

Das aus der Kaiserzeit im 19. Jahrhundert stammende kameralistische Blocksystem war auf einer Prestigefrage aufgebaut: große Eisenbahn = erfolgreicher Obrigkeitsstaat. Mitbestimmung gab es allenfalls bei den Beamten, die billig oder kostenlos von A nach B reisen konnten. Die Bahnkunden waren – und sind es heute noch, wie Michael Cramer sagt – Beförderungsfälle, die gefälligst ihr Geld für die Fahrkarte abliefern sollen.

In der Schweiz ist es genau umgekehrt: Die SBB-Kunden sind die begehrten und umworbenen Gäste eines attraktiven (staatlichen) Transportunternehmens, wie es anderswo Hotelgäste sind, die sich eine schöne Zeit in schöner Umgebung gönnen.

JOHANNES SPARK, Bremen