Das Spiel mit dem Schock

Schuld hat das kleine Schwarze: Passenderweise stellte Andrea Vanoni ihren Krimi „Im Herzen rein“ in der Emerson Gallery vor. Denn der Fall ihrer Kommissarin Paula Zeisberg spielt im Kunstmilieu

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Der Ort passt. Dunkle Farbe auf der Fensterscheibe verhindert den Durchblick in die Räume der Emerson Gallery in der Gartenstraße, und auch dort, wo der mächtige Scheibenwischer, den die Bildhauerin Inge Mahn hier installiert hat, hin und her schrabbt, bleibt es undurchsichtig. Dem Undurchsichtigen und Geheimnisvollen gilt auch die Leidenschaft von Andrea Vano- ni, die hier ihren Krimi „Im Herzen rein“ vorstellte. Als aktuelles Setting für ihre Morde hat sie sich den Kunstbetrieb ausgesucht, verarbeitet ihr Täter seine Leichen doch in sehr alltäglich anmutenden Installationen, die irgendwo in der Stadt auftauchen.

Ob ihr denn in einer Galerie die erste Idee für ihren Story eingefallen sei, wollte Bernhard Robben, Übersetzer und Spezialist für angelsächsische Krimiliteratur, der als Gesprächspartner der Autorin engagiert war, von ihr wissen. „O nein“, sagte sie, „das war im KaDeWe, beim Kauf eines kleinen Schwarzen.“ Und sie beschrieb, wie sich ihre Fantasie vom Kleid zu Bildern der so hübsch drapierten Opfer und dann weiter vorgearbeitet habe.

Für die Kunstszene ist nicht gerade schmeichelhaft, was die Kommissarin Paula Zeisberg und ihre Freundin und Chefin, die Staatsanwältin Chris Gregor, bei Vernissagen und in Gesprächen mit dem erfolgreichen Bildhauer Josef Heiliger erfahren. Die exakten und zynischen Vorträge nämlich, die der bald auch mächtig verdächtige Künstler den beiden Frauen über die Ökonomie der Aufmerksamkeit und das Spiel mit dem Schock hält, zeigen die Szene als ein Gebiet, wo sich allein die geschickte Kalkulation mit der Öffentlichkeit und den Medien durchsetzt. Und die Suche nach dem Tabubruch Künstler und Verbrechen in ihren Interessen zusammenbringt. Na super, der Künstler als tendenziell immer Perverser ist ja auch im Fernsehkrimialltag ein beliebtes Klischee.

Nun werden Thriller ja auch nicht geschrieben, um die Reflexion, was Kunst heute leisten kann, voranzutreiben, sondern um den Leser zu entführen und zu vereinnahmen. Und das gelingt Vanoni in ihrem gerade mal zweiten Krimi ziemlich gut. Sie las eine Passage vor, in der die Staatsanwältin an den ersten Tatort, eine Bank an der Spree in der Nähe des Amtsgerichts, kommt: Und dort sitzt die Leiche genauso da und füttert mit ihrem Sandwich Tauben wie sie selbst oft in ihrer Mittagspause. Wie Vanoni die Annäherung beschreibt, den Wechsel von akustischen und visuellen Sinneseindrücken, das Sortieren von Wichtigem und Unwichtigem, das ist sehr gelungen. Nicht zuletzt, weil man als Leser der mählichen Erkenntnis der Staatsanwältin und dem Sich-Ausbreiten des Schreckens, dass sie, die Lebende, von der Toten gespiegelt wird, stets um einen kleinen Tick voraus sein kann.

Nicht nur für den, der hier am Moabiter Werder selbst schon spazieren ging und den Spreedampfern zuschaute, springt dabei ein innerer Film an. Auch in Szenen, die sich durch fremdes Gelände wie etwa die Räume in der Gerichtsmedizin bewegen, entfaltet die Autorin eine Technik, sich Schritt für Schritt, Blick für Blick, Ton für Ton vorzuarbeiten. Die Genauigkeit bekommt da auch etwas Grausames: Die Brutalität der Tat selbst erlebt der Leser zwar nicht mit, sie holt ihn aber ein in der Untersuchung der Leiche. Nicht von ungefähr fühlt man sich dabei an die präparierten Toten von Gunther von Hagens erinnert. Über seine Schau wird in dem Buch sogar gesprochen, durchaus mit kritischer Ablehnung. Und dennoch bemüht Andrea Vanonis Kriminalgeschichte ähnliche Sensationen und ist damit ja auch nicht allein.

Vanoni, 1963 geboren, hat an Theatern in Wien und Kiel gearbeitet, bevor sie sich als Agentin für Drehbuchautoren und Kameraleute selbstständig machte. Für ihr Buch hat sie recherchiert, auch in der Gerichtsmedizin, und ja, ihr ist schlecht geworden. „Die Räume sind viel größer, als man sich das in Fernsehkrimis vorstellt, und man fühlt sich viel kleiner.“ Hinterher habe sie sich über den Sonnenschein draußen und das Leben gefreut, als ob sie tatsächlich dem Reich der Toten entronnen wäre.

Robben brachte die Autorin immer wieder dazu, von ihren handwerklichen Tricks zu erzählen. Wie sie sich zum Beispiel in Stimmung für die von ihr so genannten Sülzszenen bringt, die die Krimihandlung erst unterbrechen und dann mit ihr verschränken. Denn beide ermittelnden Frauen müssen sich während der Arbeit auch in ihrem emotionalen Haushalt neu aufstellen, und dass sie jeden Mann, egal ob er der mögliche Täter oder der helfende Kollege ist, gleich auch nach seiner Attraktivität beurteilen, zeichnet beide aus. Diese Szenen zu schreiben habe sie immer auf später am Tag verlegt, wenn die logische Arbeit erst mal erledigt war, beschrieb Vanoni, und Robben nickte dazu, braucht er doch als Übersetzer oft ähnliche Methoden.

Andrea Vanoni: „Im Herzen rein“. Diana Verlag München 2008. 512 Seiten, 16,90 €