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: Kleine Siege der Curry-Literatur

Wie es eben immer so kommt. Der pensionierte Richter Shiva Ram Murthy bekommt von einer barschen, Kaugummi kauenden Bedienung in einem Taco-Imbiss in den USA einen Fleischburrito vorgesetzt – obwohl er eigentlich streng vegetarisch lebt; die selbstbewusste Studentin Lata ist gerade einer arrangierten Hochzeit entronnen und muss nun miterleben, wie sich ihre Mitbewohnerin Supriya in Sammeer, den Typ mit den durchschnittlichen Augen, verliebt – den ihre Eltern ihr als perfekten indischen Ehemann hatten vermitteln wollen; der kleine Krishna will seinen Namen ändern, weil sein Lehrer Mr. Hoffman eine Abbildung der gleichnamigen Hindugottheit in den Unterricht mitgebracht hat – um die Existenz Satans zu beweisen. Und die sechzehnjährige Uma, ganz amerikanischer Teenager und kurz vor der Defloration, stellt bei einem Familienbesuch in Indien fest, dass ihre Wurzeln tiefer gehen, als sie je vermutet hätte.

Diese vier ganz unterschiedlichen Figuren haben zwei Dinge gemeinsam. Sie sind indischer Abstammung, ansässig in den Vereinigten Staaten von Amerika. Und: Sie sind Geschöpfe der Autorin Rishi Reddi. Reddi selbst wurde im indischen Hyderabad geboren, wuchs in England und den USA auf und hat, nachdem sie zehn Jahre als Anwältin für Umweltrecht in Massachusetts gearbeitet hat, ihren ersten Band mit Kurzgeschichten herausgebracht: „Karma und andere Stories“. Darin erzählt sie ausnahmslos von indischstämmigen Amerikanern oder Indern auf US-Besuch, die ihre Wurzeln in Hyderabad haben.

Schnörkellos und in einfacher Sprache beschreibt Reddi den Alltag in der amerikanischen Vorstadt, der immer wieder durch die Auseinandersetzung mit den indischen Traditionen durchbrochen wird. Da geht es um den mangelnden Respekt, den die nachwachsende Generation den oftmals sperrig und vorgestrig erscheinenden Bräuchen der Alten entgegenbringt – oftmals aus bloßer Unwissenheit. Es geht um Gefühle der Verlorenheit in einer anderen Kultur, um Ausgrenzung – aber auch immer wieder um ein Ankommen und Sichbehaupten. Wenn die alte Witwe Arundhati ihre goldenen Armreifen versetzt, um gegen den Willen ihres Sohns aus dem amerikanischen Exil in die geliebte indische Heimat zurückzukehren, und dabei den aufsässigen Enkelsohn gänzlich unerzogen zurücklässt; oder wenn Lata erkennt, dass sie trotz drohender Familienkrise ihren Eltern den amerikanischen Freund vorstellen muss, wenn sie sie selbst sein will, dann sind das kleine Siege über starres Brauchtum.

Beachtlich ist es, wie glaubhaft sich Reddi in die unterschiedlichen Protagonisten ihrer Geschichten hineinversetzt. Es ist alles dabei: die alte Witwe, der Schuljunge, die Studentin, der Teenager, der Rentner und der mittelalterliche Ehemann. All diese Figuren bewegen sich natürlich durch ihre Welt. Interessant ist auch, die indische einmal der amerikanischen Kultur gegenübergestellt zu sehen. In Großbritannien haben indischstämmige Autoren aufgrund der gemeinsamen Geschichte bereits einen festen Platz. Die indische Gemeinde in England ist groß, und Autoren wie V. S. Naipaul, Salman Rushdie und Hanif Kureishi haben ihr eine Stimme gegeben. In den USA ist diese Literatur, die Reddi in einem Interview mit einem amerikanischen Literaturmagazin als curry lit (Curry-Literatur) bezeichnet, erst im Entstehen. Eine kleine Welle weiblicher Autoren, die ihre Diasporageschichten mit indischen Ausrufungszeichen wie frisch gebackenen Samosas, singenden Brahmanen auf Hochzeiten und aufgemalten Bindis spicken– ohne dass folkloristischer Kitsch entsteht.

Alles in allem ist „Karma und andere Stories“ ein sehr nettes Buch: eins von der Sorte, die man gerne liest in der Sonne auf dem Balkon oder einer Parkbank. Und am Ende, nach der letzten Geschichte, kann man es getrost für den Nächsten liegen lassen, der sich für eine Pause vom Alltag dort niederlässt. KIRSTEN REINHARDT

Rishi Reddi: „Karma und andere Stories“. Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow. Ullstein Verlag, Berlin 2008, 219 Seiten, 18 Euro