Bilder auf Distanz

Picasso, Henry Matisse, Salvador Dalí, sie alle schufen nicht nur Großes, sondern illustrierten auch Bücher von befreundeten Schriftstellern. Dabei hielten sich die Künstler oft nicht an den Text, wie die erklärungsbedürftige Ausstellung „Maler und Poeten“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigt

von MAXIMILIAN PROBST

Es waren Luxusartikel der allerersten Güte, die Künstlerbücher der klassischen Moderne. 3.000 Francs musste der Liebhaber dafür schon mal hinblättern. Eine tüchtige Mahlzeit gab‘s für 5 Francs. Und was bekam er da eigentlich? Ein Buch, so bibliophil gestaltet, dass man es vor Ehrfurcht wohl gar nicht erst las. Etwa ein Gedichtband von Paul Eluard: mit Picasso-Radierungen versehen, gedruckt auf handgeschöpftes Büttenpapier. Die Auflage dieser Prachtbände lag zwischen 5 und 15 Stück, gedacht für gut betuchte Sammler.

Im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe sind nun 80 solcher Künstlerbücher aus der Sammlung Bokelberg zu sehen. Die Exponate stammen aus der Zeit von 1893 bis 1939. Sie zeigen, wie nah sich damals Maler und Schriftsteller standen. Zumal in Paris: Da illustriert Henry Matisse die Dichtung von Pierre Reverdy, Hans Arp die von Tristan Tzara, Salvador Dalí Texte von André Breton. Die Bücher sind das seltene Produkt von Künstlerfreundschaften, die manchmal, wie im Fall von Paul Eluard und Max Ernst, so weit gingen, dass man sich auch gleich die Ehefrau miteinander teilte.

Trotzdem oder gerade deswegen sind die Illustrationen oft schwer verständlich. Die Maler halten sich nicht an den Text. Sie versuchen erst gar nicht, die Sprache getreu ins Bild zu übersetzen, sondern liefern freie Assoziationen, manchmal im Geiste des Buches, manchmal auch kontrapunktisch zu ihm. Das spiegelt die Gleichberechtigung zwischen den beiden Künsten, führt aber auch zum Einduck von Willkür der Bebilderung.

Eine Radierung Dalís zu Lautréamonts „Gesänge des Maldoror“ etwa: Ein Mann kniet am Boden. Langes Haar fällt ihm auf die Schulter, aber es umrahmt nur eine Leere. Sein Gesicht hält er vor sich in der Hand, geradewegs so, dass dieses Gesicht mitten hineinschaut in sein fehlendes. Gut, das ist ein eindringliches Bild für die absurde Lage des Menschen, der sich selbst ein Rätsel ist und es trifft irgendwo auch die Abgründigkeit des Dichters, den die Surrealisten als ihren großen Vorläufer feierten. Aber die Aporie der Selbsterkenntnis ist ein so grundlegendes Thema für die damalige Zeit, dass Dalí damit hundert andere Bücher hätte bebildern können.

Eine Ausnahme ist René Margrittes Illustration zum Buch „Was ist der Surrealismus?“. Hier ist man dankbar, dass er Bretons Schrift und hundert andere über diesen Männerstammtisch mit einem generellen Bild erhellt. Es zeigt einen lockigen Frauenkopf: anstelle der Augen Brüste, anstelle der Nase ein Nabel, anstelle des Munds die Scham.

Ebenso aufschlussreich ist das Nebeneinander von einem Holzschnitt Kandinskys mit einem Text in Dialogform, der an Lewis Caroll erinnert. „Warum“ heißt das Stück und geht so los: „Keiner ist da hereingekommen. – Keiner? – Keiner. – Ja! Aber als ich da vorbeikam, stand doch einer da. – Vor der Tür? – Vor der Tür. Er breitete die Arme aus. – Ja! Weil er niemanden hineinlassen will. – Keiner ist da hineingekommen? – Keiner. – Der, der die Arme ausbreitete, wer da da? – Drin? – Ja. Drin.“ Es ist ein Gespräch, das auf der Stelle tritt, das dieselben Wörter immer wieder aufnimmt und vertauscht. Der Holzschnitt spiegelt diese Struktur: blaue und rote Flächen, werden immer wieder variiert, und schwarze Linien schreiben sich fort, ohne je zu einer neuen Form zu gelangen.

Leider bleiben die Fälle, wo sich Bild und Text gegenseitig erhellen, Ausnahmen. Meist bleibt dem Betrachter nichts anderes, als sich die Bilder gesondert anzuschauen, auch deshalb, weil es sich bei vielen Texten um schwer verständliche Gedichte französischer Sprache handelt, oder der Text gleich gar nicht gezeigt wird. Da gibt es eine satirische Lithografie von Georg Grosz, die einen Mann in Anzug mit einer Tierschnauze zeigt, und eine entblößte Frau mit zerbissenem Hintern – doch leider haben die Ausstellungsmacher darauf verzichtet, Alfred Richard Meyers Text „Munkepunke Dionysos“ daneben abzudrucken.

Das Konzept scheint auf der Annahme zu beruhen, dass die Werke der großen Künstler schon aussagekräftig genug sind. Aber was soll man dann anfangen mit einer Graphik Picassos, die ein paar hingegossene Frauenkörper zeigt? Ganz nett, aber irgendwie auch eine belanglose Fingerübung. Und dann drängt sich der Gedanke auf, dass nicht die Künstlerfreundschaft zwischen Picasso und Pierre Reverdy den Ausschlag für dieses Werk gegeben habe, sondern der Gedanke, mit einer flüchtigen Auftragsarbeit die Finanzen aufpolieren zu können.

Überhaupt hätte man sich gerne ein paar Begleittexte zum Phänomen der Künstlerbücher gewünscht. Steht dahinter eine Rückbesinnung auf die handwerkliche Tradition, ein Gedenken der manuellen Buchmalerei, die man als Reflex auf die moderne technische Reproduzierbarkeit der Bilder verstehen müsste? Oder kann man die Künstlerbücher als Versuch begreifen, das Medium Buch zu erweitern? Sind die Künstlerbücher womöglich Vorläufer der Zeitschriften und deren gleichberechtigtem Nebeneinander von Text- und Bildstrecken?

Die Ausstellung zeigt, dass Künstlerbücher ein interessantes Phänomen sind – und dass sich, wer mehr darüber wissen will, woanders umsehen muss.

„Maler und Poeten. Künstlerbücher der klassischen Moderne aus der Sammlung Bokelberg“. Bis 29. Juni im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg