Luftbuchungen in der New Economy

Der einstige Hamburger Internet-Hoffnungsträger Alexander Falk soll durch Scheingeschäfte und fiktive Umsätze die Kurse seiner Unternehmensaktien manipuliert haben. Nach einem Monstrum von Prozess wurde er nun zu vier Jahren Haft verurteilt

Es war ein Wirtschaftsprozess der Superlative: Zur Vorbereitung des Verfahrens hatte das Gericht 786 Aktenordner mit 235.000 Blätter zu sichten. 3.000 Urkunden sind eingeführt, 74 Zeugen aus dem In- und Ausland gehört worden. Das Verfahren dauerte mit dem 157 Verhandlungstag fast dreieinhalb Jahre – Beginn war am 3. Dezember 2004. Zahlreichen Gutachten befassten sich unter anderem mit der Frage, ob tatsächlich irgendwem ein Schaden entstand. Falk saß 22 Monate in Untersuchungshaft und war nur unter Auflagen von der Haft verschont worden. Wegen der Komplexität der Materie hätte der Prozess auch noch länger dauern können, sagt der Vorsitzende Richter Nikolaus Berger. Aus Gründen der Prozessökonomie habe sich das Gericht aber nicht mit allen Fragen befasst. Die Staatsanwaltschaft hatte fünf und neun Monate Haft wegen vollendeten Betrugs beantragt, die Verteidigung Freispruch gefordert.  KVA

VON KAI VON APPEN

Gemeinschaftlicher versuchter Betrug und Börsenmaipulation: Der Hamburger Stadtplan-Verlagserbe und Internet-Unternehmer Alexander Falk ist am Freitag von der Wirtschaftskammer des Landgerichts Hamburg zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Von den vier Mitangeklagten erhielt einer eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, drei weitere erhielten Bewährungsstrafen.

Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass der 38-jährige Falk und die anderen den Wert seines Internet-Unternehmens Ision fiktiv in die Höhe getrieben haben, indem sie durch Scheingeschäfte die Umsatzzahlen nach oben manipulierten. Dadurch sollte beim Verkauf von Ision-Aktien an das britische Unternehmen Ernergis ein höherer Verkaufspreis erzielt werden. „Nach Überzeugung der Kammer hat die Beweisaufnahme den Sachverhalt der Anklagevorwürfe mit vielfältigen Ergänzungen ganz überwiegend bestätigt“, sagte der Vorsitzender Richter Nikolaus Berger am Freitag in der fünfstündigen Urteilsbegründung.

Den ursprünglichen Vorwurf – Betrug – sah das Gericht allerdings als nicht erfüllt: Es sei kein effektiver Schaden eingetreten. „Die Kammer sieht Probleme einen Schaden zu berechnen“, so Berger. Dem Käufer Energis wäre demnach nur dann ein Schaden entstanden, wenn der Wert des Ision-Aktienpakets beim Erwerb hinter der versprochenen Leistung zurückgeblieben wäre: „Der für den Betrugsversuch notwendige Schädigungsvorsatz der Angeklagten steht nach Überzeugung der Kammer jedoch fest“, erläuterte Berger.

Der Senkrechtstarter

Alexander Falk gehörte zu den Senkrechtstartern der „New Economy“, als er im Jahr mit Ision den Gang an die Börse wagte und damit 184 Millionen Euro erlöste. Nach Erkenntnissen des Gerichts gelang es allerdings „zu keinem Zeitpunkt, die Kosten durch Einnahmen zu decken“, sagte Berger. „Ein Wachstum im Unternehmen war schwer zu erreichen.“ Schnell fiel der Kurs der Aktie von 113 auf 47 Euro, und bereits im Sommer 2000 herrschte bei Falk die Erkenntnis, dass der eigene Business-Plan „inakzeptabel“ sei.

Trotzdem vermittelte Falk immer wieder über Ad-hoc-Meldungen an der Börse und in Wirtschaftsmedien den Eindruck, Ision sei ein Wachstumsunternehmen. Zeitgleich beauftragt er eine Bank, nach möglichen „strategischen Partnern“ zu suchen und Teile des Ision-Aktienpaketes zu veräußern. Um dieses attraktiver erscheinen zu lassen, soll Falk Scheingeschäfte mit fiktiven Umsätzen vorgetäuscht und „Luftbuchungen“ vorgenommen haben.

So tauchte etwa im dritten Quartal 2000 ein Posten für die Entwicklung einer Website von Sabine Christiansen auf, die niemals erstellt worden sein soll. Oder Umsätze für ein gewisses „Studio Kiel“ sowie einen Digitalsender namens „KM1“ – bei beiden soll es sich um Briefkastenfirmen handeln. Oder Falk dokumentierte Umsätze an seine eigene Holding. „Dabei wurde nicht einmal der Schein erweckt, dass dafür eine Leistung vollbracht werden sollte“, sagte Berger rückblickend. Damit einige Dokumente über die Scheingeschäfte vernichtet werden, hätten Mails ironischerweise einen Zusatz enthalten: „Diese Mail zerstört sich nach dem Lesen selbst.“

Machwerk vollendet

Dieses dritte Quartal indes war die Basis, auf der Ende 2000 die Verkaufsgespräche mit Energis geführt wurden. Um sein „Machwerk zu vollenden“, so Berger weiter, habe Falk zuletzt sogar „wahrheitswidrige Einlassungen“ abgegeben, um beim Käufer in spe etwaige Bedenken über die Ision-Umsatzentwicklung auszuräumen. „Der Vertrag wäre nicht abgeschlossen worden, wenn Energis Hinweise auf den manipulierten Umsatz gehabt hätte“, war sich Richter Berger sicher. So sei Ernergis bereit gewesen, in einem Aktientauschpaket eine Milliarde Euro für Ision in die Hand zu nehmen.

Alexander Falk selbst, zur Verkündung sommerlich leger in Jeans und Polohemd mit Ision-Aufdruck erschienen, nahm das Urteil gelassen hin. „Das Urteil ist keine Überraschung“, sagte er in einer Verhandlungspause. „Der Betrugsvorwurf ist einfach absurd.“ Sein Anwalt Thomas Bliwier kündigte Revision beim Bundesgerichtshof an. Er denke, gab sich der einstige Börsenstar Falk zuversichtlich, „dass wir gute Chancen haben“.