„Ich war ein Eichhörnchen“

Jamie Lidell, der in Berlin lebende englische Technoproduzent und Soulsänger, spricht über sein neues Album „Jim“, seine gespaltene Persönlichkeit und seinen Umgang mit prominenten Musikern

Jamie Lidell, 34, wuchs in dem englischen Ort Huntingdon auf. Er lebte in Bristol, London und in Brighton, wo er Teil des Technokollektivs Subhead war. Gemeinsam mit Cristian Vogel gründete er das Duo SuperCollider, das sich musikalisch zwischen Techno und Funk verortet. Im Jahr 2000 veröffentlichte Lidell sein experimentell-technoides Debütsoloalbum: „Muddlin Gear“. 2005 folgte „Multiply“, auf dem der Sänger und Produzent Popeinflüssen schon ein größeres Gewicht gab. Sein neues Album „Jim“, erschienen bei Warp Records im April 2008, vollendet diese Entwicklung. Lidell kredenzt darauf zehn süffige Pop- und Soulsongs, die einfach nur glücklich machen. Bisher lebte der Musiker in Berlin-Kreuzberg. Mittlerweile stehen seine Möbel in Paris.

Heute Abend spielt Jamie Lidell im Admiralspalast in Berlin, Beginn 22 Uhr.

INTERVIEW ALEXANDRA EUL

taz: Herr Lidell, wer ist eigentlich Jim?

Jamie Lidell: Jim ist ein Teil von mir. Mein ganzes Ich könnte ich auf unmöglich auf einer Platte unterbringen. Ich sagte mir: Das scheint eine echt optimistische Platte zu sein. Sie zeigt den Dandy und den Gentleman in mir. Und es gibt ein paar Freunde, die mich Jim nennen. Da dachte ich, ich nenn’s Jim.

Haben Sie sich Jim ausgedacht, um bei Kritik eine fiktive Person vorzuschieben?

Wir haben alle viele Persönlichkeitsebenen. Ich habe sowieso hundert verschiedene Typen in meinem Kopf. Von einer Minute zur nächsten hab ich vergessen, wer ich bin.

Auf Ihrer Internetseite gibt es einen Videoclip. Sie spielen mit Stofftieren und nehmen ein drogenartiges Getränk zu sich. Ist das biografisch?

Ich habe nicht so viel darüber nachgedacht. Als mein Label sagte: „Jamie, wir müssen unbedingt eine elektronische Pressemitteilung machen“, dachte ich: „Okay, aber nur, wenn ich dabei ein bisschen Spaß mit so einem Typen in L. A. haben darf, den ich kenne. Ich wollte mich nicht hinstellen und sagen: „So, das ist meine neue Platte, und ich wollte damit dies und das ausdrücken.“ Dass ist doch so langweilig, wer will das denn hören?

Warum haben Sie dann dieses Popalbum gemacht?

Gegenfrage: Warum nicht?

Der gefeierte Undergroundmusiker macht eine Popplatte, die sich verkaufen soll. Ist das nicht langweilig?

Das ist mir echt egal. Ich bin ja kein Sklave des Undergrounds. Ich mache das, worauf ich Lust habe. Und ich hatte Lust, mein Gespür für Pop auf ein, zwei Alben zusammenzufassen. Als ich „Jim“ begonnen hab, hab ich mich erst mal an meine Maschinen gesetzt. Und dachte: Hey, das ist viel zu einfach. Ich wollte lieber Songs schreiben, die ich gern spiele. Das war die große Herausforderung.

Werden Sie trotzdem weiterhin Liveshows spielen, auf denen Sie Ihre eigene Stimme sampeln?

Klar! Ich spiele mit meiner Band, mit meinen Maschinen aus der guten alten Lidell-Solozeit und ich sample mich selbst. So schaffen wir eine Art Hybrid aus meiner alten Show und einer normalen Bandshow.

Sie sind schon lange mit den gleichen Musikern unterwegs. Wie haben Sie die kennen gelernt?

Wir haben uns in Berlin getroffen. Mocky, dann Peaches, Gonzales und Feist. Wir sind einfach Freunde, haben in derselben Ecke gewohnt und sind mal Kaffeetrinken gegangen. Dann haben wir uns zum Musikmachen verabredet.

Warum sind Sie überhaupt nach Berlin gezogen?

Ich war hinter einem Mädchen her. Einer Kanadierin, die in Deutschland gelebt hat. Leider hat es nicht funktioniert. Stattdessen habe ich mich in Berlin verknallt.

Stimmt es, dass Sie in einem besetzten Haus gewohnt haben?

Nein, meine Mama wäre darüber gar nicht erfreut.

Aber Sie haben studiert.

Ja, ich hab Philosophie und Physik an der Bristol University studiert.

Also kein Alibistudent, der eigentlich nur Musik macht, anstatt in den Vorlesungen zu sitzen?

Oh Gott, nein, ich hab einen Uni-Abschluss in Philosophie!

Würden Sie sich als Streber bezeichnen?

Sicher! Ich hab mich schon als kleiner Junge viel mit Computern und Maschinen beschäftigt. Und ich war echt gut in Mathe. Irgendwann habe ich diese ganze akademische Seite aus den Augen verloren. Ich vermisse das irgendwie. Viele Musiker sind Idioten, und die ganze Musikszene ist echt dumm. Vielleicht widme ich mich eines Tages einfach wieder der Mathematik.

Optisch sehen Sie jedenfalls nicht mehr wie ein Streber aus. Eher ziemlich stylish. Ist das Marketing?

So sehe ich heute halt aus. Mein alter Look hat mich echt gelangweilt.

Ein Zeichen für eine Persönlichkeitsveränderung?

Ich bin geselliger geworden. Ich hänge mehr mit anderen Musikern rum und komme aus meiner kleinen Blase raus. An dem Album haben viele Menschen mitgewirkt. Ich glaube, ich bin dadurch einfach erwachsener geworden. Dafür habe ich lange genug gebraucht.

Wenn Sie auf der Bühne stehen, haben Sie eigentlich noch nie schüchtern ausgesehen.

Die Bühne ist ja auch ein besonderer Ort. Da gelten andere Regeln. Ich stand immer auf der Bühne.

Wie war das erste Mal auf der Bühne?

Ich war ein Eichhörnchen.

Das glaube ich nicht!

Doch, das stimmt. Ich war das Eichhörnchen in einem Schultheaterstück. Mein bester Auftritt. Es ging um viele verschiedene Tiere. Jedes Tier hatte seinen eigenen Song. Mein Lied handelte davon, wie es ist, ein Eichhörnchen zu sein.

Das ist die Geschichte, die Sie jedem Journalisten erzählen, der Sie nach Ihrer Vergangenheit fragt, oder?

Ja, klar. Aber es ist ja auch die Wahrheit. Ich lüge nie. Das hat sich einfach in mein Gedächtnis gebrannt, und wenn mich Leute fragen, was das Erste war, was ich gemacht habe, ist das die Antwort.