Vom Natur-Reichtum profitieren

Damit die Bäume nicht mehr der Holzkohleproduktion zum Opfer fallen, haben sich Dorfbewohner im Westen Mauretaniens zusammengeschlossen

Antilopen, Rebhühner und Strauße haben nur die ganz Alten zu Gesicht bekommen

VON CLAUDIA ALTMANN

Aichatou Val Mint Boiba aus dem Dorf Chlim im äußersten Südosten Mauretaniens hat einen langen Arbeitstag. Schon früh morgens steht sie auf und versorgt ihre Rinder, Schafe und Ziegen. Seit je waren die Tiere für ihre nomadisierenden Vorfahren die wichtigste Existenzgrundlage. Daran hat sich auch nichts geändert, seit die Familie vor einigen Jahrzehnten sesshaft geworden ist. Neben der Viehzucht betreibt Aichatou eine kleine Boutique. Sie verkauft Stoffe, Decken und Gemüse. Aber damit noch nicht genug: In der Umgebung des Dorfes sammelt sie Früchte und Grassamen. Dabei schöpft sie aus dem jahrhundertealten Wissen, das ihr ihre Ahnen vermittelt haben.

Aichatou nimmt eine Schale mit winzig kleinen Samenkörnern und lässt diese sachte durch die Finger ihrer rechten Hand rinnen. „Die Samen des Az-Grases zu sammeln, ist sehr mühsam und zeitaufwendig“, sagt sie. „Aber es ist der Mühe wert. Sie sind ein wichtiges Ingrediens bei der Zubereitung unserer Speisen. Außerdem verwenden wir sie als Medikament, weil sie sehr wirksam gegen hohen Blutdruck und Diabetes sind.“ Sie nimmt eine zweite Schale mit orangefarbenen Beeren. „Diese Früchte des Jüp-Jüp-Baumes verkaufen wir auf dem Markt. Sie sind sehr nahrhaft und daher bei den Leuten äußerst beliebt“, erklärt die agile Frau. „Außerdem nutzen wir die Kerne der Akazia Nilotica, um daraus Gerbmittel für die Lederverarbeitung herzustellen.“ Aber sie ist nicht zufrieden. „In den vergangenen Jahren haben wir viel mehr Früchte gefunden. Jetzt werden die Bäume immer weniger.“

Grund dafür ist vor allem die Abholzung zur Holzkohleherstellung. Viele Obstbäume, aber auch der Baobab, Aisch und Tikfit, deren Früchte und Blätter früher in der Medizin verwendet wurden, wachsen hier nicht mehr. Mit der Vegetation sind auch die Tiere verschwunden. Antilopen, Rebhühner und Strauße haben nur noch die ganz Alten zu Gesicht bekommen.

Buschfeuer verboten

Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, hat sich Aichatou zusammen mit den anderen Dorfbewohnern in einer Nutzervereinigung zusammengeschlossen, die mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) gegründet wurde. Ihr gehören 30 Dörfer auf einem Gebiet von 700 Quadratkilometern, auf denen sich ein riesiges Feuchtgebiet erstreckt. Gemeinsam haben die Mitglieder in einem Landnutzungsplan Zonen für Landwirtschaft, Gärten, Bäume und die Zugangswege zu Tränken sowie die durch Pufferzonen davon getrennten Schutzzonen für Tiere und natürliche Regeneration der Pflanzenwelt abgesteckt. Auch die Gebühren etwa für das Sammeln von Früchten und Holz und die sich nach der Größe der Herde richtende Weidenutzung wurden genau definiert. Um Fauna und Flora zu schützen, sind Holzeinschlag, die Jagd auf Vögel und das Entzünden von Buschfeuern verboten. Wer sich nicht daran hält, bezahlt eine Geldstrafe in die Kasse der Nutzervereinigung. Deren Mitglieder sind auch offen für neue Methoden. So auch bei der Produktion von Gummiarabikum. Das Baumharz der Akazie wird in Getränke gemischt, um den Geschmack zu verbessern, ist wichtiger Bestandteil von Süßigkeiten und dient als Stärke für Baumwollstoffe, vor allem für das wallende mauretanische Männergewand, den Boubou. Auf dem Weltmarkt ist es ein sehr gefragtes Produkt für die Süßwaren- und Kosmetikindustrie. Um die Bäume zu schonen, wurde die alte Zapfmethode mit Äxten durch eine neue ersetzt. Jetzt wird die Rinde mit einem Zapfmesser lediglich angeritzt. Das Harz wird über den lokalen Markt hinaus bis nach Nouakchott vertrieben.

Aichatou hofft, dass sich alle an die gemeinsam getroffenen Regelungen halten und sich die Natur wieder erholen kann. „Wir kennen viele verschiedene Pflanzen, die in unserer Tradition immer eine wichtige Rolle gespielt haben und die wir weiterhin nutzen wollen. Da wir uns jetzt selbst mehr um unsere Umwelt kümmern, können wir hoffentlich bald auch wieder mehr von diesem Reichtum profitieren“, wünscht sie sich.

CLAUDIA ALTMANN