Die Kunst des Alleinseins

Die Schriftstellerin Karen Duve hat viele Jahre in Hamburg als Taxifahrerin gearbeitet, bevor sie ihre literarischen Durchbruch erlebte. Jetzt hat sie einen neuen Roman geschrieben: „Taxi“. Ein Hausbesuch bei einer Autorin, die manchmal Menschen scheut, aber nicht die Konfrontation

16. November 1961 in Hamburg

Blangenmoor, Schleswig-Holstein

Taxifahrerin, Schriftstellerin

„Keine Ahnung. Erzählungen“ (1999); „Dies ist kein Liebeslied“ (2002); „Die entführte Prinzessin“ (2005); „Taxi“ (2008)

Bulldogge (1), Kater (1), Pferd (1), Maultiere (2), Hühner (genaue Zahl nicht bekannt)

VON CAROLA EBELING

Schaut man aus Karen Duves Wohnzimmerfenster, eröffnet sich ein fast surreales Bild: Weite Wiesen, ein leuchtend gelbes Rapsfeld, und dicht am Haus vorbei führen grünbewachsene Gleise in ein Nirgendwo. Ein Versprechen von Bewegung und Ferne – und zugleich ist man ganz hier, in diesem einsam gelegenen ehemaligen Bahnhofsgebäude.

Schon lange fahren die Züge nur noch bis St. Michaelisdonn, ein kleiner Ort in Schleswig-Holstein. Karen Duve und ihre englische Bulldogge Bully warten auf dem schmalen Bahnsteig, dann geht es mit dem Kombi, einen freundlich quietschenden Hund im Rücken, nach Blangenmoor – nicht weit vom AKW Brunsbüttel liegt der alte, Wein umrankte Bahnhof, in dem die 46-jährige Schriftstellerin wohnt. Sie teilt es außer mit Bully noch mit einem zugelaufenen Kater, ihrem Pferd und einigen anderen Tieren, doch es ist Platz für alle da: Das Grundstück streckt sich in die Länge, hinten ein Teich mit kleinem Steg.

Es ist sommerlich warm, Karen Duve hat die Ärmel ihres Hemdes hochgekrempelt. „Oh, das stinkt nach Gülle, das tut mir leid, das war eben noch nicht so. Wollen wir trotzdem draußen sitzen?“ Ja! Mit Erdbeeren und Krabbensalat.

Vor acht Jahren hat sich Karen Duve diesen Ort ausgesucht. Kurz nachdem sie 1999 mit dem „Regenroman“ Aufsehen erregte. Im gleichen Jahr kam auch ein Sammelband mit Erzählungen heraus. 1999 ist so etwas wie das Gründungsjahr ihrer Schriftstellerinnenexistenz. Dass sie, inzwischen vielfach preisgekrönt, seit etwa zehn Jahren vom Schreiben leben kann, erscheint ihr alles andere als selbstverständlich: „Wenn man über zehn Jahre Taxi gefahren ist und schon drei Bücher eingeschickt und ohne positive Resonanz zurückbekommen hat, dann rechnet man nicht mehr damit.“ Karen Duve sagt, sie habe gedachte, dass es falsch sei, schreiben zu wollen. Dass das Leben eben kein Film sei, „in dem man die Hauptperson ist, und am Ende wird noch alles gut“.

„Taxi“ heißt ihr neuer Roman, und auch wenn ihre Hamburger Taxizeit lange zurück liegt – die Taxifahrerin Duve und die Schriftstellerin Duve haben viel gemein. Taxifahren sei „eine ziemlich gute Mischung aus kompletter Einsamkeit und wohldosiertem mitmenschlichen Kontakt“, auch wenn man auf diesen Kontakt manchmal „gerne ganz verzichten würde“.

Für das Taxifahren brauche man keine ausgeprägte soziale Kompetenz, sagt Karen Duve und lacht. Ebenso verhalte es sich mit dem Schreiben, darum habe sie es sich ausgesucht: „Es war eine Sache, die man ohne andere machen konnte.“ Das Alleinsein ist für Karen Duve existentiell. Um sich wohl zu fühlen, klar denken zu können. Auch wenn sie nicht schreibt. Mehrmals fällt das Wort „Dosierung“ – dass es darauf ankomme, das richtige Maß an sozialen Kontakten zu finden.

So anstrengend der Taxijob auch war, niemand hat ihr gesagt, wann sie zu kommen und zu gehen hat, und das war und ist ihr sehr wichtig. „Irre anstrengend“ darf es zwischendurch sein, das ist nicht das Problem. Die vielen Lesungen, Pressetermine, Auslandsreisen während ihres ersten großen Erfolgs hat sie genossen. Aber wenn „es einfach nicht mehr geht“, ist heutzutage Schluss.

Was sie beim Taxifahren gelernt habe, sei das „Muster-Sehen“, sagt Karen Duve. Der Kern und die große Stärke ihrer Literatur ist der sehr genaue Blick auf die Verhaltensweisen der Menschen, die alltäglichen Zumutungen, die sie einander zufügen, die enttäuschten Erwartungen. Der neue Roman reiht Miniaturen alltäglicher zwischenmenschlicher Monstrositäten aneinander, böse und komisch. Immer wieder thematisiert sie das Verhältnis von Männern und Frauen: Oft greife hier das Muster der Nicht-Achtung von Realität, sagt Duve – missachtet werde die Realität der Frau.

Dass eine Frau ihr eigenes Leben zugunsten der Förderung des Mannes aufgebe, sei doch noch bis vor kurzem die gängige Vorstellung von Ehe gewesen. Und dass ein Mann glaube, es ginge vor allem um ihn, um seine Realität, sei nach wie vor sehr verbreitet. Karen Duve beugt sich vor, lehnt sich wieder zurück: „Ich wundere mich immer, dass die Leute diese Muster nicht sehen!“ Viele wollten es einfach nicht sehen, so wie in dem Film „Matrix“. „In der Matrix ist es schön warm um kuschelig“, sagt sie. „Wenn man sich der Sache stellt, wird es super unbequem und unkuschelig.“

Karen Duve will nicht kuscheln. Sie nutzt die Möglichkeiten, die sie als Autorin hat, um Stellung zu beziehen

Karen Duve will nicht kuscheln. Sie nutzt die Möglichkeiten, die sie als Autorin hat, um Stellung zu beziehen. Sie empfindet das als großes Privileg – und als echten Vorteil gegenüber der Taxizeit, als sie ihre Meinung vorrangig ihren Fahrgästen mitteilen konnte. Nachdem Michel Friedman 2003 Zwangsprostituierte und Koks orderte, schrieb sie im Spiegel einen fulminanten Artikel: Ihr ging es exemplarisch um eine Form männlicher Sexualität, die sich am Leid der Frauen ergötze und darin Befriedigung finde. Sie fand drastische, sehr direkte Worte. Manche waren davon verstimmt.

Die Leute, Männer wie Frauen fragen sie oft, warum Männer so schlecht bei ihr wegkämen. Dabei fahre sie immer runter, bei jedem Buch. „Es kommt nicht ein Promille von dem Grauen, das tatsächlich irgendwo in Europa passiert, in meinen Büchern vor.“ Sie schreibe Artikel nur, wenn sie eine große Dringlichkeit empfinde. 2006 fand sie die „Mutternummer“ von Schirrmacher, Matussek und Herman zum „Knochenkotzen“. So war es in der Zeit zu lesen, das war dringlich.

Auf ihrem alten Bauernhof herrscht gerade keine Dringlichkeit. Hier ist ein guter Ort, um das richtige Maß zu finden. Um aufzubrechen, wie heute noch nach Berlin und in den nächsten Wochen zu vielen Lesungen.

Und wieder anzukommen.

Heute liest Karen Duve im Literaturhaus Hamburg aus „Taxi“: Schwanenwik 38, 20 Uhr. Weitere Termine: 20. 5. in Hannover, 22. 5. in Bremen, 23. 5. in Lübeck, 30. 5. in Hamburg