Eine Frage des Stils

Mit einem überzeugenden 6 : 1 Sieg gegen Hannover 96 behauptete Werder Bremen einen Spieltag vor Saisonende den zweiten Tabellenplatz, schrammte aber knapp an der Image-Katastrophe vorbei

VON RALF LORENZEN

Als die 40.000 Bremer Zuschauer im Weserstadion sich in der 75. Minute erhoben, verpackten sie gleich zwei Botschaften in ihrem ohrenbetäubenden Jubel. Die eine richtete sich an Tim Borowski, der in seinem letzten Spiel für Werder gerade das 3 : 0 erzielt hatte und nun von Thomas Schaaf mit feinem Gespür für emotionale Zuspitzungen vom Platz geholt wurde.

Der Subtext der Ovation zielte nach Duisburg, wo gerade Miroslav Klose mit Bayern München spielte. „Es wird hart für Boro“, hatte Klose geunkt, als Borowski seinen Wechsel nach München bekannt gegeben hatte. „ Mir haben die Fans vor die Füße gespuckt.“ Fußballfans haben eben ein feines Gespür für Stilfragen und unterscheiden, ob jemand „immer ehrlich mit uns umgegangen ist“, wie der Stadionsprecher viel sagend betonte, oder sich – wie einst Klose – in der entscheidenden Saisonphase heimlich zu Vertragsverhandlungen mit Bayern-Manager Uli Hoeneß traf. Erstere können auch zukünftig mit freundlicher Aufnahme in Bremen rechnen, wie es die in Hannover angelandeten Ex-Bremer Valerien Ismael und Christian Schulz erfuhren.

Auch die anderen Bremer haben aus dem verkorksten Saisonfinale 2007 gelernt. Verstolperten sie damals träge und müde gegen Eintracht Frankfurt den zweiten Tabellenplatz, so festigten sie jetzt mit launigem Kombinationsspiel ihren Anspruch auf die direkte Champions League-Qualifikation, für die am kommenden Samstag in Leverkusen bereits ein Unentschieden reicht. Neben Borowski (73.) waren Hugo Almeida (15.), Naldo (27.), Ivan Klasnic (80.), Markus Rosenberg (82.) und Aaron Hunt (87.) an dem Schützenfest beteiligt, zu dem Hannovers Szabolcz Huszti (90.) lediglich den Ehrentreffer beitrug.

Trotz des großen Unterhaltungswertes hätte man den Hannoveranern etwas weniger Naivität gewünscht. Das „Modell Werder“ ist das erklärte Vorbild von Trainer Dieter Hecking, der mit Spielern wie Schulz und Ismael eine neue Sieger-Mentalität an die Leine holen will. Aber am Pfingstsonntag tat seine Mannschaft phasenweise so, als hätte sie schon die Offensivkraft der Bremer erreicht und müsste sich um die Absicherung nicht so viele Sorgen machen. Selbst als die Niederlage längst feststand, entblößte sie ihre Abwehr noch derart, dass Werder die Restspielzeit für eine Trainingseinheit im Konterspiel nutzen und allein in den letzten zehn Spielminuten vier Treffer erzielen konnte.

Auch die anschließenden Erklärungsansätze könnten direkt aus der Bremer Fußballlehrer-Schule stammen. „Wir befinden uns in einem Lernprozess“, sagten Hecking und Schulz unisono. Trotz Kantersieg schrammten die Bremer haarscharf am Super-GAU für ihr Image vorbei. Nach Klasnic-Affäre und Rambo-Einlage von Tim Wiese fragen sich die Fußballfans im Rest der Republik ohnehin, was bei den Sympathieträgern an der Weser los ist.

Wenn Tim Wiese in der 80.Minute mit seinem Wunsch durchgekommen wäre, den fälligen Strafstoß zu schießen, hätten sich nicht nur die Hannoveraner beleidigt gefühlt, ganz Fußball-Deutschland hätte das als einen schrillen Affront gegen den guten Geschmack gegeißelt. Zum Glück zeigte Kapitän Torsten Frings mehr Fingerspitzengefühl als sein Torwart und schickte ihn wütend in den Kasten zurück. Die ebenso wütende Reaktion der Trainerbank auf die aufreizend lässige Ausführung des Elfers durch Diego zeigt deutlich, dass Stilfragen bei Werder gerade hoch im Kurs stehen.