DIE INDUSTRIE NUTZT DIE AUSBILDUNGSSTATISTIK FÜR PROPAGANDA
: Klassenweise in die Arbeitslosigkeit

Das wär doch mal eine sinnvolle Fortbildung: Ludwig Georg Braun setzt sich einen Tag lang in eine Hauptschulklasse in Duisburg-Marxloh oder Berlin-Neukölln und lässt sich von den Schülern erzählen, wie es ist, dutzende Bewerbungen zurückzubekommen, von Berufsberatern in die Schublade „hoffnungslos“ einsortiert zu werden und gleich klassenweise in die Arbeitslosigkeit zu wechseln.

Ihre Aussichten bei der Lehrstellensuche sind nämlich längst nicht so „glänzend“, wie Braun vorhersagt. Sicher: Die Konjunktur läuft rund, die Firmen bieten im Vergleich zum Vorjahr neun Prozent mehr Azubi-Stellen an, gleichzeitig starten geburtenschwache Jahrgänge in den Jobmarkt. Dennoch ist Brauns Ankündigung, es werde in diesem Jahr erstmals wieder mehr Stellen als Bewerber geben, zu diesem Zeitpunkt reine Propaganda. Statistiker der Regierung prognostizieren denn auch Gegenteiliges: Nämlich, dass auch 2008 wieder 200.000 Jugendliche ohne Stelle dastehen werden. Vor allem solche aus bildungsfernen und Migrantenfamilien fallen durchs Raster. Sie werden wieder in einer Endlosschleife von Fördermaßnahmen landen und zu „Altbewerbern“ werden. Diese stellen inzwischen die Mehrheit der Bewerber dar.

Selbst wenn nun die Konjunktur einen Hoffnungshauch verbreitet, ändert sich auf lange Sicht nichts an der Krise des dualen Systems, der Aufgabenteilung zwischen Betrieb und Schule. Denn viele Unternehmen drücken sich, allen Ausbildungspakten zum Trotz. Einen großen Teil des Lehrstellenangebots stellen öffentlich geförderte Träger bereit, nur ein Viertel der Firmen bildet aus – gleichzeitig jammern Mittelständler wie Konzernchefs über den Fachkräftemangel. Dies ist ein latenter Skandal: Unternehmen streichen Profite durch qualifizierte Arbeit ein, wälzen aber die Kosten für Ausbildung auf die Öffentlichkeit ab. Das Rezept der Regierung dagegen ist der Ausbildungsbonus, mit ihm will sie Firmen für Stellen belohnen – wieder mit Steuergeldern. Konsequent wäre es, die Unternehmen zu zwingen, ihre gesellschaftliche Aufgabe wahrzunehmen. ULRICH SCHULTE