Schicksalsbeben

BERLIN taz ■ 32 Jahre ist es her, dass China das letzte Mal von einem so schweren Erdbeben heimgesucht wurde. Damals, am frühen Morgen des 28. Juli 1976, wurden weite Teile der etwa eine Million Einwohner zählende Industriestadt Tangshan unweit von Peking zerstört. Chinesische Experten bezifferten die Stärke des Bebens mit 7,8, andere sprachen von 8,2. Offiziell starben 242.000 Menschen, zeitweilig kursierten auch Todeszahlen von bis zu 600.000.

Das Beben von Tangshan, das mehr Todesopfer forderte als jede andere Naturkatastrophe im 20. Jahrhundert, fiel in die Endphase der Kulturrevolution. Damals tobte der Machtkampf um die Nachfolge des greisen Mao Tse-tung. Auf der einen Seite standen die Reformkräfte um Deng Xiaoping und den neuen Ministerpräsidenten Hua Guofeng, auf der anderen die von Maos Frau Jiang Qing geführte „Viererbande“.

China weigerte sich damals aus ideologischen Gründen, internationale Hilfe etwa von UN-Organisationen oder des Roten Kreuzes anzunehmen. Vielmehr sollte die Volksbefreiungsarmee die Möglichkeit erhalten, ihr durch die Kulturrevolution beschädigtes Image aufzubessern. Während Hua und Deng sich stärker für die Opfer einsetzten, polemisierte die „Viererbande“ dagegen und betonte die Priorität der ideologischen Kampfes: „Es hat bloß einige hunderttausend Opfer gegeben. Na und? Deng Xiaoping zu denunzieren betrifft 800 Millionen Menschen“, sagte etwa Jiang Qing. Andere warfen den Reformern vor, die Angst vor Erdbeben auszunutzen, um die Revolution zu behindern.

Während der heutige Premierminister Wen Jiabao sofort ins Unglücksgebiet reiste, brauchte Hua damals gut eine Woche. Doch immerhin besuchte er überhaupt die Katastrophenregion. Im Machtkampf sollte ihm das zu Hilfe kommen. Mao starb sechs Wochen nach dem Beben, danach setzten sich die Reformer gegen die „Viererbande“ durch.

Im Unterschied zu damals ist Chinas Regierung jetzt um Transparenz bemüht und begrüßt ausdrücklich ausländische Hilfe. Ausländische Helfer möchte man aber immer noch nicht haben, weil es für sie „keine Unterkünfte“ gebe, wie es offiziell heißt.

1976 war für China ein Schicksalsjahr, in dem wichtige politische Entscheidungen getroffen wurden. Mit den Unruhen in Tibet, dem Beben in Sichuan und den Olympischen Spielen im August könnte 2008 ähnlich bedeutsam werden. SVEN HANSEN