Kameraaugen wirkungslos

Die Polizei hat seit der Einführung der Videoüberwachung auf der Reeperbahn mehr Straftaten registriert. Besonders die Zahl der bekannt gewordenen Körperverletzungen ist gestiegen

Auf der Reeperbahn machen Körperverletzungen das Gros der Straftaten aus. Von den 913 Fällen im überwachten Bereich im Zeitraum vom April 2007 bis März 2008 fielen 761 in den Bereich der Körperverletzung. Sachbeschädigungen rangieren auf Platz zwei. 61 Fälle wurden angezeigt. Ein ähnliches Bild gibt es auch in der nicht-überwachten Umgebung. Drogendelikte wurden bei dieser Auswertung nicht berücksichtigt. DKU

VON DANIEL KUMMETZ

Die Reeperbahn bleibt einer der gefährlichsten Bereiche Hamburgs – nirgendwo in Hamburg jedenfalls geschehen so viele Straftaten wie auf dem touristischen Herzstück von St. Pauli: In der Statistik der Innenbehörde sind für die Zeit von April 2007 bis März dieses Jahres 913 Straftaten von der Polizei verfolgt worden. Daran hat auch die Ende März 2006 eingeführte Videoüberwachung nichts geändert. Im Jahr davor waren es im gleichen Gebiet sogar noch 200 Straftaten weniger gewesen.

Diese Zahlen hat die SPD-Bürgerschaftsfraktion mittels einer großen Anfrage vom Senat erfragt. SPD-Innenexperte Andreas Dressel nutzt die Ergebnisse, um das Sicherheitskonzept für St. Pauli und insbesondere für die Reeperbahn anzugreifen: „Die Zahlen zeigen, dass die Gewalt auf dem Kiez immer noch auf dem Vormarsch ist – trotz Videoüberwachung und Messerverbot.“ Er fordert mehr Präsenz der Polizei auf der Reeperbahn, mehr Initiative vom Senat, um den Alkoholmissbrauch zu bekämpfen und einen verstärkten Einsatz von Straßensozialarbeit. Doch Dressel bezweifelt nicht Sinn und Wirksamkeit der Kameras: „Die Videoüberwachung ist weiterhin richtig, ihre Bedeutung wurde vom Senat überbewertet.“ Sie könne aber nur ein Baustein für eine Sicherheitsarchitektur sein.

Die Innenbehörde reagiert gelassen auf den Wirbel um die Zahlen: „Es hat nie jemand behauptet, dass durch den Einsatz von Videoüberwachung die Gewalttaten zurückgehen“, sagt Ulrike Sweden, Sprecherin von Senator Christoph Ahlhaus (CDU). Die Kameras seien Teil eines Gesamtkonzepts, zu dem auch das Waffentrageverbot und die Aufstockung der Polizeikräfte an besucherstarken Wochenenden gehörten. „Aber in einer freiheitlichen-demokratischen Gesellschaft ist es nicht möglich jede Tat zu verhindern.“ Die Wirksamkeit der Videoüberwachung könne man aus den Zahlen nicht herauslesen: Diese sei ein Mittel der Vorbeugung und schwer messbar. „Wir können nicht wissen, wie viele Straftaten wir durch die Kameras verhindert haben“, sagt Sweden. Konsequenzen für die Polizeistrategie hat die SPD-Anfrage also nicht – aber Ende des Jahres wollen die schwarz-grünen Koalitionspartner das Sicherheitskonzept überprüfen.

Antje Möller, Innenexpertin der GAL – inzwischen Koalitionspartner von Ahlhaus’ CDU – hat weiter gehende Zweifel an der Aussagekraft des Zahlenmaterials: „Die polizeiliche Kriminalstatistik taugt nicht dazu, die Sicherheit in der Stadt zu beschreiben, sie kann nur eine Arbeitsgrundlage sein.“ Dieses Problem sieht sie besonders bei der Erfolgsmessung von Sicherheitskonzepten. „Wenn es eine Polizeikampagne gegen etwas gibt, dann gibt es auch mehr Anzeigen.“ Interessant sei immer, wie hoch die Dunkelziffer dann noch sei. „Wir haben schon immer gesagt, dass Videoüberwachung keine Straftaten verhindert“, so Mölller. Wie gut die polizeiliche Arbeit auf dem Kiez sei, werde Ende des Jahres kritisch überprüft. In der Opposition hatte Möller den Kamera-Einsatz als „Überwachungsszenario unbekannten Ausmaßes“ bezeichnet und die Überprüfung der Maßnahme gefordert.

Neben der Reeperbahn wird seit Anfang Juli 2007 auch der Hansaplatz in St. Georg mit Kameras überwacht. Über ihre Wirksamkeit liegen keine Zahlen vor. Auf der Reeperbahn sind 12 Kameras mit Zoomfunktion im Einsatz, die Livebilder ins Polizeipräsidium senden. Von dort aus sind die Kameras auch steuerbar. Wenn die Polizisten dort Straftaten beobachten, alarmieren sie ihre Kollegen auf der Davidwache. Das geschah im ersten Jahr des Video-Einsatzes rund 270 Mal, im zweiten gab es nur noch 160 Einsätze, die durch die Kameras ausgelöst wurden.

Der von der Polizei früher angedachten Einsatz von Videoüberwachung auf dem Vorplatz des S-Bahnhofs Bergedorf ist im Moment nicht mehr aktuell. Der Grund: Bauarbeiten.