BERLINER PLATTEN
: Man kann auch auf Deutsch singen! Muss man aber nicht! Erik & Me und Milú haben mit je verschiedenen Popentwürfen eine unterschiedliche Wahl getroffen

Es ist nicht mehr das Wagnis, das es einmal war. Nicht nach Grönemeyer, nicht nach Tomte und nicht mehr – na ja, auch – Silbermond. Mittlerweile ist bewiesen, dass das Deutsche als Popsprache funktioniert, selbst wenn das Pathos nicht durch Ironie abgefedert wird. Erik & Me tragen dieses Ansinnen aber trotzdem noch einmal demonstrativ vor sich her.

Und sollen sie ruhig. „Hundertsechzig Zeichen“ hat nicht nur einen sperrigen Titel, das erste deutschsprachige Album nach dem noch in Englisch gehaltenen Debüt von 2004 sucht auch trotzig nach einem eigenen Weg. Einem, der sich nicht im Diskursiven und Abgehobenen ergeht, aber dann doch wieder nicht allzu anspruchslos sein will. Zu abgehangenen Harmonien von der Akustikgitarre, unterstützt von Piano, Bass und fast schon orchestraler Geste, berichtet Erik Lautenschläger binnenreimverliebt von einer Welt, die „mit Verlaub nur aus Staub gebaut“ ist. Oder auch einfach von den zerzausten Haaren seiner Liebsten und den Sonnenstrahlen, die sich durch die Strähnen schlängeln. Tatsächlich war womöglich selten zuvor ein Sängername treffender, auch wenn dieser moderne Barde seine verliebten Elogen nicht auf der Laute vorträgt. Manchmal allerdings, so wenn Lautenschläger sein Falsett bemüht, um zur Klage anzuheben („Niemand kann mich hören / Ich sing nur für mich“), schrammt die Unternehmung nicht mehr nur am Kitsch vorbei, sondern schmiert voller Überzeugung in diese Untiefen ab.

Dort allerdings lässt es sich, das beweist „Hundertsechzig Zeichen“, überraschend leichtfertig überleben. Gänzlich ungeniert und unbelastet von allen Coolness-Vorgaben suhlt sich das Quartett in meist wohlbekannten und auch nun nicht unbedingt frisch klingenden Popklischees, verweist dabei aber immerhin auf ziemlich okaye Bezugspunkte wie Radiohead oder R.E.M. Wie gesagt: Kein wirkliches Wagnis, aber doch ein erneut gelungener Versuch, dem deutschen Pop eine weitere Facette hinzuzufügen.

Auch wagemutig gibt sich Milú, wenn auch auf völlig anderem Gebiet. Die im bürgerlichen Leben Anke Hachfeld Geheißene versteckt sich auf „Longing Speaks With Many Tongues“ – wie es der Titel verspricht – hinter vielen Zungen, vor allem Englisch, aber auch einer selbst entworfenen Fantasiesprache. Das war mal anders: Auf ihrem ersten Album „No Future In Gold“ sang sie noch Deutsch. Heute sieht sie das als Fehler, und tatsächlich kann man sich vorstellen, dass die mit großer Geste vorgetragenen Vokaldemonstrationen in der Sprache der Dichter und Denker arg überladen gewirkt haben. Schon so sind sie, irgendwo in der Grauzone zwischen Gothic, Mittelaltermusik und New Age beheimatet, sehr eigen. Lisa Gerrard fällte einem vielleicht ein als entfernte Verwandte, wenn wieder mal der Rhythmus verweigert wird und das Tempo auf null abzusinken droht. Songstrukturen sind was für Spießer, während Hachfeld kraftvoll und doch auch bemüht ums Schwerelose versucht, mit ihrer Stimme in die eigene Seele vorzudringen. Das kann man dann getrost ein Wagnis nennen. THOMAS WINKLER

Erik & Me: „Hundertsechzig Zeichen“ (Revolver/Soulfood) live Di. im Lido

Milú: „Longing Speaks With Many Tongues“ (Premium/Soulfood) So. bei „Dark Poetry“ im Duncker