Angst machen auf hohem Niveau

Heribert Prantl kritisiert den präventiven Antiterrorstaat. Doch er beschäftigt sich kaum mit der realen Terrorprävention und malt ein Zerrbild der Verhältnisse. So klärt er nicht auf, sondern schüchtert die Bürger ein

Der Staat soll handeln, „bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist“. Das nennt man Prävention. Doch was heißt das konkret? „Darf man alle Brunnen versiegeln? Oder darf man alle Kinder zu Hause einsperren?“ Das fragt Heribert Prantl, Leiter des Innenpolitikressorts der Süddeutschen Zeitung, in seinem neuen Buch, „Der Terrorist als Gesetzgeber“. Nach Prantls Analyse schießt der Gesetzgeber unter dem Eindruck der Terrorgefahr weit übers Ziel hinaus. Die neue Sicherheitspolitik verstehe sich als „Frühwarnsystem“, das bereits jede mögliche Normabweichung aufspüre.

Doch Prantl will seine Leser offenkundig eher aufschrecken als aufklären. Seine provokative These, dass in Deutschland inzwischen jeder Bürger als verdächtig gelte und beweisen müsse, dass er unschuldig oder ungefährlich ist, beruht natürlich auf einem Zerrbild. So zählt der Münchner Journalist zwar zahllose neu eingeführte, geplante oder auch nur diskutierte Polizeimaßnahmen auf – und viele von ihnen sind sicher auch unverhältnismäßig und unnötig. Doch in der Regel handelt es sich gerade nicht um Maßnahmen gegen völlig Unbeteiligte. Sowohl die heimliche Durchsuchung von Computern als auch das Abhören von Wohnungen sind lediglich Maßnahmen zur Abklärung eines konkreten Verdachts.

Bei der Vorratsdatenspeicherung müssen Telefongesellschaften zwar sechs Monate speichern, wer mit wem wie lang telefoniert hat. Prantl spricht deshalb von einer „verdachtsunabhängigen“ Maßnahme; hier gelte jeder als „potenziell verdächtig – so lange, bis sich durch die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen seine Entlastung ergibt“. So aber ist es gerade nicht. Die Polizei – und darauf kommt es an – kann eben nur im Verdachtsfall und nicht bei jedermann auf diese Daten zugreifen. Die Speicherung trifft zwar jeden, der Zugriff aber nur wenige. Leider beruht Prantls Analyse des „fürsorglichen Präventionsstaats“ immer wieder auf solchen Ungenauigkeiten und entwertet sich damit selbst.

Zugleich und erstaunlicherweise entzieht sich Prantls neues Buch weitgehend einer Auseinandersetzung mit der real existierenden Terrorprävention. Der immerhin titelgebende „Terrorist“ kommt im Buch so gut wie gar nicht vor. So erfährt man leider nicht, wie Heribert Prantl denn mit Leuten umgehen will, die vermutlich terroristische Ausbildungslager besucht haben oder die beginnen, in großem Stil die Zutaten zum Bau eines Sprengsatzes einzukaufen.

Seine Kollegin bei der Süddeutschen Zeitung, Annette Ramelsberger, hat jüngst in ihrem Band „Der deutsche Dschihad“ beschrieben, wie in den letzten Jahren durch die Überwachung von Telefonaten und E-Mails die meisten in Deutschland geplanten Islamisten-Anschläge schon im Ansatz verhindert werden konnten.

Gerne hätte man gewusst, ob der ehemalige Staatsanwalt Prantl auch diese einigermaßen gezielte Vorfeldüberwachung im Dschihadisten-Milieu als rechtsstaats- und verfassungswidrig ablehnt. Vermutlich nicht; deshalb hat er wohl ausgerechnet hier lieber geschwiegen, um den Effekt seiner dröhnenden Rhetorik nicht zu gefährden. Der Kern der Prävention gegen islamistische Terroristen zielt schließlich nicht auf jedermann, sondern auf einige hundert konkrete Personen, die als gewaltbereit gelten.

Gelungen sind vor allem die Kapitel, in denen sich Prantl gegen die Rehabilitierung von Folter wendet und gegen ein neues Feindstrafrecht, bei dem bestimmte Normbrecher tendenziell keine Rechte mehr haben. Das Feindstrafrecht ist bisher allerdings nur ein wissenschaftliches Konstrukt, das der Bonner Strafrechtler und Rechtsphilosoph Günther Jakobs in den Achtzigerjahren entwickelt hat.

Jakobs verdankt die Bekanntheit seines Konzepts allerdings vor allem Prantl, der es schon seit Jahren mit fasziniertem Abscheu immer wieder ausführlich referiert, widerlegt und damit faktisch aufwertet.

„Wie man mit Angst Politik macht“ heißt das Buch im Untertitel. Heribert Prantl weiß es. Viele halten seinen alarmistischen Stil aber trotz aller Übertreibungen und Ungenauigkeiten für verdienstvoll, solange es gegen den richtigen Gegner geht. Zugleich besteht aber die Gefahr, dass die düsteren Bilder vom maßlosen Präventionsstaat die Leser einschüchtern und übervorsichtig werden lassen. Dies jedenfalls wäre nicht im Sinne der Demokratie und der Bürgerrechte.

CHRISTIAN RATH

Heribert Prantl: „Der Terrorist als Gesetz- geber. Wie man mit Angst Politik macht“. Droemer Verlag, München, 2008, 220 Seiten, 14,95 Euro