„Es ist eine Frage der Solidarität“

Hamburg diskutiert die sechsjährige Grundschule. Der Unternehmerverband Nord ist explizit dafür. „Die starken Schüler können so den schwachen helfen“, sagt ihr bildungspolitischer Sprecher Gerd-Heiner Spönemann

GERD-HEINER SPÖNEMANN, 61, ist bildungspolitischer Sprecher des Unternehmerverbandes Nord und leitet das Bildungszentrum Tannenfelde.

taz: Herr Spönemann, in dem neusten bildungspolitischen Papier fordert der Unternehmerverband Nord die sechsjährige Grundschule. Was hat Ihren Verband dazu bewogen?

Gerd-Heiner Spönemann: Wir haben uns von neuen pädagogischen Erkenntnissen überzeugen lassen. Nach nur vier Jahren Grundschule ist es einfach noch zu früh, zu sagen, welches Kind auf die Hauptschule, auf die Realschule oder aufs Gymnasium kommt, weil viele Kinder sich spät entwickeln. Und wir wollen als Unternehmer, dass sich möglichst viele Kinder gut entwickeln und ausbildungsfähig sind.

Woher kam die Erkenntnis?

Von der PISA-Studie und vielen Gesprächen, die wir seither mit der GEW und anderen Lehrerverbänden geführt haben.

In Ihrem Bildungspapier aus dem Jahr 2003 hatten Sie noch auf der Grundschulempfehlung nach Klasse 4 beharrt.

Das ist richtig. Wir haben unsere Position revidiert. Wir sind keine Betonköpfe, sondern offen für neue Erkenntnisse.

Für wen spricht der Unternehmerverband Nord?

Wir sprechen für 58 Arbeitgeberverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein. Bei uns sind 27.000 Unternehmen mit 1,1 Millionen Beschäftigten organisiert.

Sie sagen, sie wollen mehr höhere Abschlüsse. Gibt es denn für alle Jugendlichen später auch einen guten Job?

Ja. Hier hat sich der Ausbildungsmarkt völlig gewandelt. Früher haben die Abiturienten die anderen Schulabgänger bei der Lehrstellensuche verdrängt. Inzwischen haben wir Mühe, überhaupt genügend ausbildungsreife Bewerber zu finden.

Haben Sie die Risikoschüler im Fokus, die in der 9. Klasse nicht richtig lesen können?

Das wäre schön. Uns würde es schon helfen, wenn wir überhaupt eine Welle nach oben hätten und mehr Kinder einen guten Haupt- oder Realschulabschluss oder auch das Abitur schaffen. Bei den Risikoschülern muss man noch viel früher, im Vorschulalter, mit Fördermaßnahmen ansetzen.

Wie wollen Sie die höheren Bildungsabschlüsse schaffen?

Wenn man die Kinder nicht schon nach der 4. Klasse aufteilt, werden die Schwächeren von den Stärkeren mitgezogen.

Hamburg plant die sechsjährige Grundschule. Jetzt protestieren Gymnasialeltern, ihre Kinder würden benachteiligt.

Da habe ich Verständnis für, weil ich früher auch so argumentiert habe. Das Bildungsbürgertum sorgt sich, dass ihre Kinder in der 5. und 6. Klasse Zeit beim Lernen verlieren. Aber das ist eine Frage der Solidarität. Die stärkeren Kinder müssen den Schwächeren helfen, sie müssen sie mitziehen auf ein höheres Niveau. Und das geht. Es ist ja heute bei modernem Unterricht nicht mehr so, dass der Lehrer vor der Tafel steht. Die Kinder lernen in einem Selbstlernprozess. Wenn dann zwei Starke und zwei Schwache zusammen lernen, kommt viel mehr bei den Schwachen an.

Aber besagte Eltern argumentieren mit der Wirtschaft. Diese bräuchte die Elite, die das Gymnasium hervorbringt.

Die Eliten müssen nicht schon in der 5. und 6. Klasse herausgebildet werden. Die bilden sich viel später heraus, an der Uni, beim Examen. Die Kinder haben keinen Nachteil, wenn sie in Klasse 5 mit leistungsschwächeren zusammen lernen. Im Gegenteil: Es schult die Sozialkompetenz.

Gibt es kritische Stimmen im Unternehmerverband Nord, die Ihre Position nicht teilen?

Nein. Wir haben einen Konsens.

INTERVIEW: KAIJA KUTTER