Sphärensound mit Manieren

Beim Konzert im Bang Bang Club erwies sich das legendäre Ex-Spacemen-3-Mitglied Peter Kember als Wesen aus Fleisch und Blut, aber ohne Lust auf Songstrukturen

Peter Kember trägt ein blütenweißes Hemd, hat kein Gramm zu viel auf den Rippen, ist höflich, ziemlich englisch und sieht gut aus. Nicht krankenhausserienkompatibel gut, aber immerhin indiepopmäßig gut. Irgendwie hatte man sich diesen Mann etwas anders vorgestellt. Hat er in seinem vergleichsweise kurzen Leben nicht mehr Drogen geschmissen als Keith Richards und Iggy Pop zusammen? Dreht sich sein ganzes Schaffen nicht permanent um Drogenkonsum, Ausklinken, Wegdriften? Der einprägsamste Slogan seiner früheren Band Spacemen 3 lautete „Taking Drugs To Make Music To Take Drugs To“, und es war eigentlich immer klar, dass es hier nicht bloß um ein wenig radical chic, sondern um ein echtes Bekenntnis ging. Und nun steht da einer auf der Bühne, der aussieht wie der lebendige Beweis von William S. Burroughs’ These, dass das bisschen harte Drogen einen nur noch härter macht.

Kember, der sich als Solomusiker Sonic Boom oder Spectrum nennt und teilweise als Experimental Audio Research unterwegs war, ist ja auch in Wirklichkeit gerade mal Anfang vierzig, was kaum vorstellbar ist, wenn man bedenkt, wie sehr man ihn mit den tiefsten Achtzigern in Verbindung bringt. Mit dem Schaffen von Spacemen 3 eben, dem gigantischen Wabersound-Act zusammen mit Jason Pierce, der wiederum heute der Gospelrockband Spiritualized vorsteht. Kember wurde immer stärker mit Spacemen 3 identifiziert als sein ehemaliger Partner, was auch daran liegt, dass Spiritualized so groß und eigenständig als echte Popband wurden, während Kember sich in Projekten verlor und damit immer der Typ blieb, der mal in dieser tollen Band mit dabei war.

Den Phantomschmerz sollte er lindern bei denjenigen, die das Ende dieser immens einflussreichen und kommerziell immens erfolglosen Band nie verkraften konnten. Das Problem ist nur, das Jason Pierce den Bombast, das Pathos und den Willen zum Rocksong gänzlich mit in seine eigene Band getragen hat, während Peter Kember das ewige Soundforschen und das Geblubber geblieben ist. Das Songformat hat er völlig abgeschafft und so schien er nicht wirklich bereit, der guten alten Zeiten willen als Einmann-Spacemen 3 aufzutreten.

Trotzdem fordert das vor Erwartungshaltung vibrierende Fanpublikum im ausverkauften Bang Bang Club „Sound Of Confusion“ und „Revolution“ und damit die größten Reißer seiner alten Band. Doch Kember steht unerschrocken hinter seinen Gerätschaften auf der Bühne und setzt auf seinen Sphärensound an der Grenze zum Ambient. Wenn er dann doch den ein oder anderen Spacemen-Song anstimmt, einmal sogar mit der Gitarre in der Hand, dann eine der sowieso schon meditativen Nummern. Nach dem Auftritt von Sonic Boom legt Tim Gane von Stereolab, auch so eine Spacemen 3-Gedächtnisband, Platten auf und beendet die Séance, teilweise wird getanzt.

Man ist sich nicht sicher, ob mit diesem Konzert nun ein Mythos wieder auferstanden ist oder endgültig zu Grabe getragen wurde. Man hatte sich an die Vorstellung gewöhnt, dass hinter Spacemen 3 und allem, was darauf seitens Peter Kembers folgte, ein Geisterwesen stecken musste, jedenfalls niemand aus Fleisch und Blut, der nach dem Spielen eines Songs „Thanks“ sagt. Und dann war alles doch wieder bloß ein netter Typ mit gebügeltem Hemdkragen und englischen Manieren.

ANDREAS HARTMANN