Trauer um Morsal O.

Nach Messermord am Berliner Tor: Polizei ermittelt, ob Familie des Opfers involviert war. Erste Trauerdemo zum Tatort. Migrantinnen appellieren an Geistliche, den Mord als Sünde zu verurteilen

VON KAI VON APPEN
UND KAIJA KUTTER

Das Amtsgericht hat gegen den 23-jährigen Deutsch-Afghanen Ahmad O. Haftbefehl wegen Mordes erlassen. Der 23-Jährige hatte im Polizeiverhör zugegeben, seine Schwester Morsal erstochen zu haben. Ahmad O. hatte die 16-Jährige am Donnerstagabend am U- und S-Bahnhof Berliner Tor mit mehr als einem Dutzend Messerstichen getötet, da ihm ihr westlicher Lebensstil missfallen und er die Ehre seiner Familie verletzt gesehen hatte.

Ob es sich bei dem Ehrenmord um eine langfristig geplante Tat handelte und womöglich die gesamte Familie involviert war, kann die Polizei zurzeit nicht sagen. „Soweit sind wir noch nicht“, sagte Polizeisprecher Andreas Schöpflin. „Dazu bedarf es weiterer Vernehmungen“.

Unterdessen versammelten sich am Sonntag Mittag rund 30 Menschen, überwiegend Frauen, zu einer Trauer-Demonstration, unter ihnen auch junge Musliminnen. „Ich würde auch demonstrieren, wenn es nicht geheißen hätte ‚Ehrenmord‘“, sagte Ayse Kondoz, die die Demo organisierte. „Es geht hier gegen Gewalt gegen Frauen“. Erst im März war im Karolinenviertel eine junge Türkin von ihren Ex-Freund vor den Augen ihres Kindes umgebracht worden. „Das soll sich hier nicht festsetzen“, sagte die Türkin. „Es ist wichtig, dass die religiösen Gelehrten den jungen Männern diese Hirngespinste austreiben“.

Der Trauerzug ging vom Steintorplatz zum Tatort am Berliner Tor, wo die Teilnehmer eine Minute lang schwiegen und Blumen niederlegten. Eine Abordnung ging zu den St. Georger Moscheen am Kreuzweg und in der Böckmannstraße und verteilten dort eine Erklärung gegen „so genannte Ehrenmorde“.

Auf dem Flugblatt an die Moscheebesucher stand: „Mord ist in allen Religionen Sünde und das sollte deshalb gerade von Religionsgelehrten massiv, klar und deutlich gelehrt werden.“ Ein Gespräch darüber kam nicht zustande. „Am Kreuzweg haben sie und die Tür vor der Nase zugemacht und an der Böckmannstraße hieß es, es würde gerade gebetet, wir sollten ‚Respekt zeigen‘“, berichtet Ayse Kondoz.

Anderen war es zu gewagt, zum jetzigen Zeitpunkt einen religiösen Bezug herzustellen. „Wir wissen zu wenig über den Hintergrund der Tat“, sagte der GAL-Abgeordnete Farid Müller, der zur Trauer-Demo ging, aber bewusst nicht zu den Moscheen.

Müller hat Kenntnis von Übergriffen gegenüber jungen schwulen Einwanderern, deren Lebenswandel von deren Familien nicht akzeptiert wird. „Wir müssen ein Zeichen setzen, dass so etwas absolut nicht akzeptabel ist“, sagte der GAL-Abgeordnete. Und man müsse prüfen, wie man die jungen MigrantInnen im Vorweg schützen kann, „sonst bleibt nach diesem Fall nur hängen: ich sage besser nichts, man kann mich ja doch nicht schützen“.

„Da ist was ganz Spezielles nötig“, ergänzte eine Demonstrationsteilnehmerin. „Ein Schutzhaus nach niederländischem Vorbild mit viel Migrationskompetenz.“ Im schwarz-grünen Koalitionsvertrag ist von einem Wohnprojekt für von Zwangsheirat Bedrohte die Rede, was Müller zufolge „in die Richtung geht“.

Für die Familienanwältin Mechthild Garweg zeigt dieser Fall wieder einmal die Widersprüchlichkeiten dieser Beziehungsdramen. Einerseits habe sich Morsal O., die in Hamburgs aufgewachsen ist und seit 13 Jahren hier lebt, deutlich von den Wertvorstellungen ihrer muslimischen Familie abgesetzt. Andererseits habe die junge Frau auf Opferschutz verzichtet und sei immer wieder zu ihrer Familie zurückgekehrt.

Es sei immer wieder das gleiche Problem, dass von Gewalt bedrohte Frauen schwach werden. „Wenn Frauen die Opferschutzangebote nicht annehmen, kann auch die Polizei nichts machen“, sagt Garweg und verweist auf den Beziehungsmord im Karoviertel. „Die Struktur war hier genauso angelegt: Die Patriarchen, die über die Frau bestimmen“, so Garweg, „und die Frau, die immer wieder zur Versöhnung zurückgekehrt“.

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