Es groovt die Poesie-Vermittlung

9. Internationales Literaturfestival Bremen: „poetry on the road“ und die Shakespeare Company präsentieren sechs DichterInnen aus fünf Ländern. Sie feiern ein Lyrik-Hochamt mit Musik und bunten Video-Projektionen, schließlich wollen sie keinen langweilen

H. C. Artmann definierte: „wer dichten kann / ist dichtersmann“. Aber wie bringt er die Dichtung an den Mann (die Frau kann aus Reimgründen nur mitgedacht werden)? Das ist die entscheidende Frage des Poesiebetriebes. Auf Festivals wie dem 9. „poetry on the road“ soll sich neben der streng gebundenen Rede in altehrwürdigen Versen die visuelle Lautpoesie entwickeln. Auf dass die Worte bildreich erblühen, bedeutungsvoll lodern und den mit allen Sinnen lauschenden Betrachter in die Sprache saugen – zur edlen Einfalt, stillen Größe.

Als Kirche dient das Theater am Leibnizplatz, ein Lesepult als Altar, darauf die heiligen Schriften und wässriger Messwein. Der Priester als Dichter, ein Mensch mit dem Sinn für das zu Offenbarende, ein Grenzgänger, der uns mitnimmt auf den Schwingen der Worte. Der Andacht folgt ein vornehmlich älteres Publikum: hellwach bereit, zu den Worten die Show, zu den Sätzen den Groove als vermittelnde Instanz geliefert zu bekommen.

In der Liturgie ihrer Lesung bringt Katharina Hacker aber erst mal nichts zum Sprechen. Krude betont sie ihre feinnervigen, ruhigen Satzbögen; radebrechend rezitiert sie die spröde reflexiven Stimmungsbilder ihrer Spaziergängerinnen-Poesie. Als hätte Hacker kein Gespür für die Struktur der Wortkonzert-Partituren. Vielleicht aus Sorge um ihr Kind: Es schreit im Theaterfoyer. Da muss sie schnell hin – und wird es mit dieser Vorlesetechnik sicherlich rasch einschläfern.

Diesbezüglich noch effektiver präsentiert sich Christian Hawkey. In nöligstem Amerikanisch leiert er genervt seine Texte herunter, in denen höchst viril und mit Lust am Surrealen die Alltagsrealitäten ins Taumeln gebracht, ihre Oberflächen transparent werden. Ratlos wendet Peter Lüchinger sein Artikulationshandwerk auf die Übersetzungen der eigenwilligen Gedankenströme an, so dass die Poeme wie eine intellektuelle Übung erscheinen – ein Stakkato der Verschraubungen. Aufreizend gekünstelt: ungesprächig. Gottesdienstaustreibung.

Beim Altmeister Gerhard Rühm darf endlich geschmunzelt werden. Mit schelmisch abgeklärter Melancholie wird die dunkle Dichterwelt durch das Kauzige erhellt, formale Strenge mit Fantasie und Witz zum Einklang gebracht. Rühm experimentiert mit den Grenzen unseres Kommunikationssystems, indem er mit den lautlichen, musikalischen, begrifflichen, bild- und zeichenhaften Elementen jongliert – und Möbel zu Wort kommen lässt, deren triste Realität es sei, „nachts von Bäumen zu träumen“. Oder Rühm grundiert den Vortrag skurriler Zeitungsmeldungen rhythmisch mit einem aus den Phonemen dieser Texte komponierten Klangnetz. Grandios.

Bei der Katalanin Ester Xargay wird Inhalt zur Form. Sie verwebt im Vortrag kreuz und quer verlaufende Bedeutungsfäden. Aus dem Rausch ihrer Denkblitze wird ein Bildersog, da die Übersetzungen per Videoprojektion auf abstrakten Farb- und metaphernden Bildflächen durcheinander purzeln und in einem „Meer der Metaphysik“ verschwinden. Hilft nicht dem Verständnis, sieht aber gut aus.

Zum Finale des Lyrikdienstes wird Sprache noch Gesang. Qassim Haddad (Bahrain) artikuliert, melodisch im Klang, auf dem weich wellenden Puls seiner Prosadichtung, während Lüchinger die Übersetzung kraftvoll monoton, harsch skandiert – wider die „Glut im Ansturm der Lettern“.

Da hat es Lydia Daher leichter. Sie spricht Deutsch – mit E-Gitarre um den Hals – und wurschtelt sich charmant durch eine zickige Selbstinszenierung. Mit dem halben Dutzend Gitarrengriffen der Lagerfeuerjugend wird losgeschrammelt, ohne große sängerische Begabung, aber mit süßer Poplyrik: „jenseits von richtig und falsch / gibt es einen ort / komm wir treffen uns dort / ich glaube da ist es schön“.

Weiter geht’s mit Pickelproblemen wie Sinnsuche, Erwachsenwerden und der bockigen Lust auf Liebe. Erfrischend schlicht. Wie ein Jugendgottesdienst. Zuhörer werden Zuschauer, erst andächtig, später lustvoll den Büchertisch im Foyer stürmend, gestärkt im Glauben an die Macht der Sprachkunst. Eine gelungene Messe also. JENS FISCHER