ausgehen und rumstehen
: Selbstdisziplinierungen zwischen Dutschke und Haschisch

Ich setzte mich hin und trank das Bier, das U. mir hingestellt hatte. Der Fernseher lief wie immer in seinem Zimmer – eine DVD mit rumänischen Kurzfilmen –, während U. noch wichtige Dinge an seinem Computer erledigte und sich dafür entschuldigte, dass er sich grad nicht um mich kümmern könne, was mich aber auch nicht weiter störte.

Ich war guter Dinge, weil ich mir am Nachmittag neue Anziehsachen gekauft hatte, ohne in Panik zu fallen. Als D., mein alter Raverfreund, kam, war es schon eins. Wir saßen da und rauchten und redeten über die letzten Tage. Als wir fertig geredet hatten, gingen wir in den Club, wo Freunde später auflegen sollten.

Der Club war gut besucht. Wir langweilten uns ein bisschen, und H. erzählte von norwegischen Riesenfrauen, die überall hier herumstehen würden. Ob wir das auch schon bemerkt hätten. Aber das stimmte nicht.

„Hast du Lust, was zu rauchen?“ – „Lieber draußen“. Er wollte den Leuten vom Club keine Schwierigkeiten machen. Grad hätte ihm nämlich jemand erzählt, dass Zivis hier wären.

Draußen erinnerte sich A., der frühere Ostler, an 89. Wie toll er damals Amerika gefunden hätte und wie doof die USA nun seien und wie furchtbar, dass einem nun wieder überall vorgeschrieben wird, wie man sein Leben zu leben hat.

Als Freiberufler fühlte ich mich nicht so bedrängt. Ich sagte, es wäre doch auch blöd, wenn alle so wären wie wir. Es ist doch gut, auf der Seite der Andersdenkenden zu sein; zumindest in der Großstadt. Kommunikationsmäßig auch. Und ob es denn tatsächlich notwendig gewesen wäre, wegen dieser minimalen Haschzigarette rauszugehen.

„In Kreuzberg machen die die Rudi-Dutschke-Straße, und du willst zum Kiffen nach draußen gehen! Na hör mal!“

Als wir zurückkamen, stand plötzlich der letzte Beatnik-Dichter in unserem Club. Wach leuchteten seine Augen im Gesicht, das bleich war und von Drogen und Exzessen gezeichnet.

Er wirkte fremd hier unter den jungen Gutaussehenden, und es überraschte mich, als er sagte, er sei hier Stammgast.

Wie immer erzählte er, dass er grad auf Entzug gewesen sei – „Du weißt schon“ – aber jetzt sei wieder alles okay.

„Und neulich am Kotti?“ – „Da war ich nur, um zu recherchieren.“ – „Und jetzt substituierst du mit Hasch?“ – „Genau.“

Er packte das Hasch direkt am Tresen aus. Wir rauchten und sprachen über dieses Außenseiterding; wie man sich halt immer ganz automatisch überall eher fremd gefühlt hatte.

Die Zivis sahen aus wie alle und sagten nichts. Wie mein alter Raverfreund H., so würde auch der Beatnik demnächst 50 werden. Mein Raverfreund verwandte viel Energie darauf, jung auszusehen; dem Beatnik war das egal.

Es gab ein Werk in seinem Inneren, nur war es ihm noch nicht gelungen, es auch auszupacken. Die erste Version seines großen Romans, an dem er die letzten fünfzehn Jahre gearbeitet hatte, sei nun aber endlich fertig geworden. Endlich steht das Gerüst zumindest.

Wir standen am Rande. Allein im Jackett und mit geschlossenen Augen tanzte der letzte Beatdichter dann noch eine Weile.

DETLEV KUHLBRODT