Rucksack verursacht Neuwahl

Staatsgerichtshof Bremen: Wegen Auszählfehlern und weil Rechtspopulisten das Landtagsmandat knapp verfehlt haben muss im Sommer Bürgerschaftswahl 2007 in einem Bezirk wiederholt werden

VON BENNO SCHIRRMEISTER

Künftig sollte auf Merkzetteln für Wahlvorstände stehen: Kein Rucksack! Denn wegen eines Rucksacks ist die Wahl zur Bremischen Bürgerschaft für ungültig erklärt worden – wenn auch nur im Bezirk „Freizeittreff Eckernfeld“. Ein entsprechendes Urteil hat der Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt gestern verkündet (St 1/07). Er gab damit einer Beschwerde der rechtspopulistischen „Bürger in Wut“ teilweise statt. Die Wiederholungswahl in dem Ortsteil ist binnen drei Monaten durchzuführen – also spätestens am letzten Sommerferien-Sonntag.

Die Frist berücksichtigt die Vorbereitungszeit: Zwar bleiben die Kandidatenlisten gleich. Aber man braucht neue Wählerverzeichnisse. Die gelten nämlich nur ein halbes Jahr. Wahltag war der 13. Mai 2007 – und im Laufe des Jahres ist der Ortsteil um 34 Menschen gewachsen. „Das ist ein Präzedenzfall“, sagte Landeswahlleiter Jürgen Wayand. Bisherige Wiederholungswahlen hätten stets innerhalb der Sechsmonatsfrist stattgefunden.Wayand, frisch im Amt, hat den Schlamassel geerbt. Wie die Neuwahl en détail geregelt wird? „Wir werden uns mit Juristen beraten“, kündigt er an.

Einzigartig dürfte auch sein, dass die Staatsanwaltschaft gegen den erfolgreichen Beschwerdeführer ermittelt – wegen des Verdachts auf Wahlbetrug: Wutbürger Nr.1, Jan Timke, arbeitet als Bundespolizist am Berliner Ostbahnhof. In Bremerhaven, so die Vermutung, habe er nur eine Schein-Adresse. Seine dortige Wohnung – 30 Quadratmeter inklusive Küche, Bad, WC – teilt er sich mit BIW-Listenplatz 2. Timke bestreitet die Vorwürfe: „Ich pendele“, sagt er. Er habe „Beweise vorgelegt“, dafür, dass jene Wohnung sein Lebensmittelpunkt ist. „Ich bin da zuversichtlich.“ Und weist auf eine andere Besonderheit der Entscheidung hin: Erstmals müsse eine Landtagswahl wegen behördlicher Fehler wiederholt werden. Wenn auch nur in Teilen.

In Bremerhaven-Eckernfeld nämlich hat „das Verfahren zur Feststellung des Wahlergebnisses“, steht im Urteil, „so wesentliche Mängel“ aufgewiesen, dass „die Richtigkeit des Ergebnisses selbst in Frage“ gestellt sei. Zumindest bei knappem Ausgang. Der lag in Bremerhaven vor: Um exakt eine Stimme hatten BIW dort die Fünfprozenthürde verfehlt.

Eine Stimme zu wenig fürs Mandat – das ist, wie beim Mensch-ärgere-dich-nicht!“ direkt vorm Häuschen rausgekegelt werden. Und ein Stimmzettel – das ist etwas, was sich schnell in den Falten eines Rucksacks verliert. Mehrfach, so hatte die Leiterin des Eckernfelder Wahlvorstands ausgesagt, habe man die Landtagswahl-Stimmen neu ausgezählt, immer wieder sei man auf dieselbe Differenz gekommen: Im Vergleich zu den Abgabevermerken fehlten 13 ausgefüllte Wahlscheine. Eine blöde Situation: Der Abend schreitet voran, der Druck wächst, der Frust auch. Wo bleibt denn endlich Eckernfeld? Hektische Telefonate mit dem Amt. Schließlich schnappt sich die Vorsteherin die Unterlagen. Und packt sie in den Rucksack.

„Die Kontrolle“, so stellt sich der Vorgang aus Sicht der Juristen dar, „entfiel vollkommen als die Vorsteherin das Wählerverzeichnis und die Stimmzettel in einer unbegleiteten Fahrt von etwa drei Kilometer mit dem Fahrrad in die Räume des Wahlamtes“ beförderte. Im Herbst hatte das – mit sechs Abgeordneten und zwei Richtern besetzte – Wahlprüfungsgericht die Ehrenamtliche für so rechtschaffen gehalten, dass ein Verdacht auf Fälschung abwegig wäre.

Nachvollziehbar. Doch der Glaube ans Gute im Menschen ist staatsrechtlich nicht relevant: Die durch den „Ausfall wesentlicher Elemente der Verfahrenskontrolle“ geschaffenen „Möglichkeiten von Zählfehlern und auch der Manipulation“ seien „durch den Hinweis auf die persönliche Integrität der beteiligten Personen nicht ausgeglichen“, heißt es im Urteil.

Rechtlich wird es eine Wiederholungswahl, faktisch ein Duell: Timke würde den Gewerkschaftssekretär Wolfgang Jägers (SPD) verdrängen. Andere Verschiebungen sind nicht möglich.

Timke hat dabei die besseren Karten: Klar, Jägers hat mehr Wahlkampferfahrung. „Ich werde in den Stadtteil gehen“, kündigt er an, „und deutlich machen, wofür ich stehe“. Auch ist die SPD eine Macht im Lande Bremen. Und der stellvertretende Landesvorsitzende hat den Kampf um Eckernfeld schon zur Frage des Prinzips erklärt: „Wir brauchen nicht noch einen rechten Chaoten in der Bürgerschaft“, sagt Thomas Ehmke. Aber selbst wenn die Beteiligung im August so hoch ausfiele, wie im Mai 2007, müsste Timke nur 102 Eckernfelder Wähler mobilisieren – dann hätte er das Mandat. Und Jägers wäre seins los.

In ihren Programmschriften fordern die BIW den Anschluss Bremerhavens an Niedersachsen, eine Bügerwacht und – Bekenntnis zu den Menschenrechten hin oder her –, die „Wiedereinführung des Brechmitteleinsatzes zur Überführung von Rauschgifthändlern“. Wie er für sich werben will? „Das steht noch nicht fest“, sagt Timke. Ohnehin ist er nach dem Urteil in eher idealistischer Stimmung: „Es geht nicht darum, dass wir die Fünfprozenthürde schaffen“, sagt er, sondern „dass die Bürger eine ordentliche Wahl bekommen.“