Dreimal Gewalt, keine Kurzschlüsse

Noch ehe die ermordete Morsal O. begraben ist, kommt es in Hamburg erneut zu Verbrechen in einer afghanischen Familie. Der Senat warnt vor Verallgemeinerungen. Und ausgerechnet der SPD-Fraktionschef geißelt „Multi-Kulti-Liberalität“

VON KAIJA KUTTER

Das Thema Gewalt gegen Migrantinnen hält Hamburg in Atem. Am Donnerstag Vormittag wurde Morsal O. beerdigt: Die 16-jährige Tochter einer aus Afghanistan eingewanderten Familie war von ihrem Bruder ermordet worden. Just am Morgen vor ihrem Begräbnis schoss in Hamburg-Billstedt ein Mann seine Frau und zwei Polizisten an, um sich anschließend selbst zu töten – auch er stammte aus Afghanistan. Nach dem Mord an der 33-jährigen Türkin Aysin T. durch ihren Ex-Freund im März dieses Jahres der dritte derartige Fall unter Migranten in kurzer Zeit.

Morsal O. liegt seit gestern auf dem islamischen Teil des Friedhofs Hamburg-Öjendorf statt. Den Trauerzug führten Männer an, mit etwas Abstand folgten teils laut weinende Frauen. Die Polizei ermittelt derweil noch immer, ob und wie Familie O. selbst in den Fall verstrickt ist – und ob es sich um einen so genannten Ehrenmord handelt.

Am Mittwochabend gab der Vater von Täter und Opfer dem NDR sein erstes Interview: Er weinte vor laufender Kamera und nannte die Tat ein Verbrechen. Er räumte aber auch ein, seine Tochter im vorigen Winter für mehrere Monate nach Afghanistan geschickt zu haben, damit sie „Sitten und Gebräuche“ des Landes kennen lerne. Morsal geschlagen zu haben, bestritt er. Dabei wird gegen ihn wegen Körperverletzung ermittelt: Am Tag vor ihrem Tod soll er seine Tochter derart heftig verletzt haben, dass sie ins Krankenhaus musste.

Auch der Imam Hashimi Omar verurteilte den Geschwistermord in seiner Trauerrede: „Das hat mit unserer Religion nicht zu tun“, sagte der afghanische Geistliche. „Als Muslim suche ich nach einer Erklärung.“ Mit dem Islam sei auch das Verbrechen im Stadtteil Billstedt nicht in Einklang zu bringen.

Dort erschoss sich am Mittwoch Morgen der 24-jährige Sultan M. selbst, nachdem er seine Frau gefährlich verletzt hatte. Sultan M., so wollten es die Zeitungen rasch herausgefunden haben, soll krankhafte eifersüchtig gewesen sein auf seine Frau, die in einer Parfümerie in der Hamburger Innenstadt arbeitete. Erst im März hatte er die 30-jährige krankenhausreif geprügelt. Daraufhin wurde ihm per Gerichtsbeschluss verboten, sich Frau und Wohnung zu nähern – woran sich Sultan O. nicht hielt.

Dass es für Migrantinnen, deren gewalttätige Partner der gemeinsamen Wohnung verwiesen werden, an Beratungsangeboten fehle, darauf hatte gerade erst am Montag die Hamburger grüne Migrationspolitikerin Nebahat Güclü hingewiesen. Hier will der schwarz-grüne Hamburger Senat erklärtermaßen nachbessern: Man sei an dem Thema „gerade dran“, lässt eine Sprecherin der Sozialbehörde wissen.

Anders als noch zu Zeiten der Schill-Partei zu erwarten gewesen wäre, verläuft die Debatte um die Vorfälle relativ besonnen. Hamburgs neuer Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) etwa, sprach im Hamburger Abendblatt von einer „zufälligen Anhäufung von Straftaten, die in keinerlei Zusammenhang stehen“. Zwar gebe es in der Tätergruppe der 18- bis 25-Jährigen einen überproportionalen Anteil von Migranten. „Aber die Zahl der ausländischen Täter geht zurück“, so der gern als Hardliner gehandelte Ahlhaus.

An gleicher Stelle warnte der grüne Justizsenator Till Steffen davor, von den Einzelfällen auf die rund 20.000 in Hamburg lebenden Afghanen zu schließen. „Die meisten von ihnen werden niemals straffällig. Gerade aus Afghanistan kommen viele hoch gebildete Menschen“, sagte Steffen. „Ehrenmorde“ hätten viel zu tun mit Rollenbildern von Männern – aber das „betrifft nicht nur Migranten“. So sei vor 40, 50 Jahren auch in Deutschland das Schlagen von Kindern und die Unterdrückung von Frauen nicht geächtet gewesen. „Das hat sich bis heute deutlich verändert. So etwas kann auch auf die Migrantengruppen überspringen.“

Ausgerechnet Michael Neumann, Fraktionschef der oppositionellen SPD, spricht da von einer Gewaltserie, die „auch Resultat eines zu langen Wegsehens“ sei: „Es gab zu lange die Hoffnung, Multi-Kulti werde die Probleme der Integration irgendwie überwinden“, so Neumann weiter. Wer in Deutschland seine Heimat gefunden habe, müsse sich ans hiesige Recht und Gesetz halten.

Sein Parteifreund, der Jugendpolitiker Thomas Böwer kritisiert dagegen, dass der Hamburger „Jugendnotdienst“ die bedrohte und zuvor geschlagene Morsal O. am vorigen Mittwoch aus seiner Obhut entließ. Er tritt dafür ein, Minderjährige zur Not auch gegen deren Willen festzuhalten – wenn das helfe, sie vor ihren Familien zu schützen. Ein Vorschlag, der Justizsenator Steffen nicht begeistert: Er nennt die Idee „nicht wirklich zu Ende gedacht“.