berliner szenen Old Mitte

Tappen im Halbdunkeln

Ein merkwürdiges Bild. Zunächst ist es wie immer. Man kommt aus der U-Bahn, Bahnhof Weinmeisterstraße, Ausgang Rosenthaler Straße. Doch dann ist es dunkel. Zwar nicht völlig dunkel, doch für diese Gegend allzu düster. Stromausfall, die Straßenlaternen sind ausgefallen. Das SAP-Gebäude beleuchtet die Straße ein bisschen, auch aus den anderen Häusern kommt Licht, man tappt also nicht wirklich im Finstern.

Dennoch ist es ungewöhnlich, hier, in diesem stets hell erleuchteten Stadtteil, auf einmal im Halbdunkel zu stehen. Dann bemerkt man: Auch in einigen Geschäften ist der Strom ausgefallen. Die Schaufenster sind matt wie sonst selten. Der Pizzamann hat Teelichter in sein Fenster gestellt. Und dieser Teil der Rosenthaler Straße ist mit einem Mal ungewohnt leer.

Plötzlich ist es wie damals. Damals, vor 15 Jahren, als man durch den spärlich beleuchteten Teil dieser Ecke Berlins über kaputte Gehwege stolperte, auf der Suche nach einer sagenumwobenen Montags- oder Mittwochsbar. Die Fassaden waren damals noch so zerschossen, wie sie der „Endkampf“ der Wehrmacht hinterlassen hatte, die Clubs waren zumeist mit Sperrmüll eingerichtet, viele Wohnungen standen leer, niemand störte sich am Lärm – oder traute sich, vom Lärm gestört zu sein. Das Dope kostete wenig, das Bier fast nichts, keiner hatte Geld, alle waren breit, man redete vom Wilden Osten.

So lang ist es gar nicht her. Doch an diese merkwürdigen Tage, in denen auch die, die nun bei jeder Ruhestörung die Polizei rufen, selbst noch ihren Lebensunterhalt als Kellerclubkollektivmitglied bestritten, erinnert hier nichts mehr. Es muss schon der Strom ausfallen. Sehr gespenstisch. JÖRG SUNDERMEIER