uli hannemann, liebling der massen
: Scheißgeschlechterstereotype

In der Parkbucht direkt vor der Haustür steht ein alter roter Golf. Er muss dort schon eine Weile stehen, denn der Dreck auf den Scheiben ist bereits angetrocknet, eine großflächig und dick auf beiden rechten Seitenfenstern plus Windschutzscheibe schwungvoll verteilte braune Masse. Die Substanz ist mir vertraut, Symbol für Ausschuss, Ende, Vergänglichkeit auf der einen und doch Neuanfang, Fruchtbarkeit, Leben auf der anderen Seite. Brahma und Shiva. Es ist braun und stinkt. Es ist Scheiße.

Anbringungsart und Menge der Scheiße deuten nicht gerade auf einen Zufall hin. Ich tippe zwar in der Tat auf Hundekot, doch da müsste schon ein elchgroßer und hochintelligenter Hund einmal um das Auto herumgelaufen sein, um gewissenhaft Muster gegen die Scheiben zu kacken. Ein Zirkushund also? Ich glaube vieles, aber das glaube ich nicht. Vielmehr hat sich jemand ganz offensichtlich eine Scheißmühe gegeben, da steckt definitiv eine klare Absicht dahinter. Aber welche?

Womöglich lässt die Herkunft des Wagens Schlüsse auf das Tatmotiv zu. Die Nummernschilder tragen das Kennzeichen OH für Ost-Holstein. Für eine Woche vielleicht zu Besuch in der großen Stadt. Die hat er sich bestimmt anders vorgestellt. Freundlicher irgendwie. Stattdessen haben ihm Fremde über Nacht unzweideutig mitgeteilt: „Fahr bloß zurück in dein Scheißkaff, wo du hergekommen bist!“ Oha! Ja, ja, diese Berliner. Hunde mögen sie, Wessis weniger. Ein raues Volk. Herz mit Scheiße.

Naheliegender erscheint mir ein Eifersuchtsdrama. Da hat sie oder er ein geeignetes Mittel gesucht und gefunden, ihre oder seine Gefühle in einem unmissverständlichen Akt quasi eins zu eins auszudrücken. Alles hineinzulegen, was hineingehört in einen solchen Moment, wenn ohnmächtig das Herzchen schmerzt, der Verlust endgültig begriffen wird und Liebe in Hass kippt: Jetzt heißt es, das Liebste anzugreifen, was die oder der andere besitzt, es zu zerstören, das geliebte kleine alte rote Auto. „Ich fühle mich beschissen“, bedeutet das, „und ich will, dass auch du dich beschissen fühlst, denn du bist Scheiße, ein Scheißdreck bist du, ein charakterloser erbärmlicher windiger kleiner Scheißdreck, wie ich dich hasse …!“ Sie oder er? Gehört das Auto einem Mann oder einer Frau? Hat eine Frau oder ein Mann die schmutzige und beschwerliche Aufgabe auf sich genommen, die Hundehaufenernte eines satten Hektars öffentlichen Straßenlands mit Hilfe der Sonntagszeitung aufzunehmen und in heiliger Wut an ein Fahrzeug zu schmieren? Sofort entspinnt sich eine angeregte Genderdiskussion. Wir haben hier die archaischsten aller Konstellationen: Mann gegen Frau, Scheiße gegen Auto. Die Situation der Sachbeschädigung spricht für eine Frau. Das ist die Reaktion einer Dame: Dem Mann die Platten kaputt machen, die Luft aus dem Fahrrad lassen, vorne und hinten jede Speiche einzeln durchzwicken, am Auto den Lack zerkratzen, die Klamotten aus dem Fenster werfen. In den PC pinkeln. Die Scheiße spricht dagegen eher für einen Mann. Das analfixierte Suhlen im Dreck, die Gewaltsamkeit, die aus dieser Form der Sachbeschädigung spricht: „Ich scheiß auf dich, du Schlampe!“ Speziell junge Männer reagieren auf Enttäuschung gerne mit Gewalt, oder zumindest mit deren Androhung. Gegen die Frau, den Nebenbuhler, sich selber, und sei es in Gestalt weinerlicher Erpressungsversuche à la „komm zurück, sonst tue ich so, als ob ich mich umbringe!“. Wir untersuchen das Auto auf geschlechtsspezifische Anhaltspunkte. Das Innere ist schlicht und schmucklos. Doch ein Mann. Es liegt kaum Müll herum. Eine Frau. Zahlreiche Stadtpläne und Autokarten. Ein Mann. Sie liegen im Kofferraum. Eine Frau.

So kommen wir nicht weiter, aber es ist letztlich egal: Wer auch immer, sie oder er hat in jedem Fall komplett verkackt. Zurückfahren kann er oder sie so nicht, zum Timmendorfer Strand, da wär’s jetzt schön, doch bei so viel Scheiße fehlt komplett der Durchblick. Hier hat ein einst geliebter Mensch wirklich ganze Arbeit geleistet.

Aber vielleicht war es ja auch einfach nur ein Arschloch.