Europa entzweit die Koalitionsfreunde

Wie hält’s Berlin mit dem EU-Reformvertrag? Kurz vor der Abstimmung im Bundesrat ist die Frage noch offen

Rot-Rot steckt in einem Dilemma: Am heutigen Freitag entscheidet der Bundesrat über den EU-Reformvertrag, und noch ist völlig offen, wie das Land Berlin abstimmt. „Eine Annäherung ist nicht in Sicht“, sagte die Linken-Fraktionschefin Carola Bluhm der taz. Ihre Partei pocht darauf, dass die SPD den Koalitionsvertrag einhält. Der sieht vor, dass das Land Berlin sich enthält, wenn beide Parteien sich nicht einigen können. Die Linke lehnt den EU-Vertrag als zu neoliberal, militaristisch und unsozial ab. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und seine SPD sehen in dem Vertragswerk von Lissabon dagegen einen Fortschritt für Europa und ein wichtiges Symbol für das Zusammenwachsen des Kontinents.

Damit gibt es für die Abstimmung im Bundesrat drei Möglichkeiten. Erstens könnte Wowereit die Linkspartei überzeugen, doch noch dem Vertrag zuzustimmen. Das gilt jedoch als ausgeschlossen – zu groß ist der Druck von anderen Landesverbänden der Linken und auch von der Berliner Basis, die erst am Montag auf einem kleinen Parteitag ihre Ablehnung zum EU-Vertrag deutlich machte.

Die zweite Möglichkeit: Wowereit hält sich an den Koalitionsvertrag, das Land Berlin stimmt also mit „Enthaltung“. Das Problem: Wowereit hat die Abstimmung im Vorfeld zu einer entscheidenden Frage hochgespielt und sich ausdrücklich eine „Führungsentscheidung“ über Berlins Abstimmungsverhalten vorbehalten. Wenn er nach diesem Vorspiel nachgibt, würde er in seiner Partei und der Öffentlichkeit als Umfaller gelten, der den kleinen Koalitionspartner nicht im Griff hat.

Die dritte Möglichkeit: Wowereit sagt in der Bundesratssitzung „Ja“ und Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) fällt ihm mit einem „Nein“ ins Wort. Berlin hätte damit ungültig abgestimmt, die Stimme würde nicht gezählt, und das Land würde ein schlechtes Bild abgeben. Wowereit müsste dann zudem die Linkspartei für seinen versuchten Bruch des Koalitionsvertrages besänftigen.

Sowohl bei der SPD als auch bei der Linken wird jedoch versichert, das Land wolle im Bundesrat keinen „Zirkus“ veranstalten. Und so wird in der Koalition weiter nach einer Lösung gesucht – angeblich soll die Entscheidung erst kurz vor der Sitzung fallen.

Wenn es aber am Ende doch hart auf hart kommt – stünden die Grünen zur Koalition mit den Sozialdemokraten bereit? Fraktionschef Volker Ratzmann weicht aus: „Die Frage stellt sich ja gar nicht. Die Linke hat bisher alles mitgemacht, die werden auch einen Bruch des Koalitionsvertrages akzeptieren.“

SEBASTIAN HEISER