Rot-Rot verhandelt mit Gott

Die Furcht vor dem nächsten Volksbegehren Pro-Religionsunterricht treibt SPD und Linke in die Arme der Kirchen. Sie sollen mehr Platz im Ethikunterricht bekommen. Die Religionsfreunde lehnen ab

VON ANNA LEHMANN

Die rot-rote Koalition will, dass PfarrerInnen und Pastoren stärker im Ethikunterricht mitarbeiten. In Erwartung des drohenden Volksbegehrens für die Einführung eines alternativen Religionsunterrichts führe man Gespräche mit der evangelischen und katholischen Kirche, sagt der Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Christian Gaebler: „Für eine stärkere Kooperation ist die Tür immer offen.“ Auch die Fraktionschefin der Linken, Carola Bluhm, betont: „Wir haben nicht grundsätzlich etwas dagegen, wenn die Kirchen am Ethikunterricht beteiligt werden.“

Als neues Pflichtfach setzte der Senat im Jahre 2006 Lebensgestaltung, Ethik und Religion (LER) für alle Schüler ab Klasse 7 auf den Lehrplan. Religionsunterricht können die verschiedenen Religionsgemeinschaften wie zuvor ab Klasse eins an den Schulen anbieten – auf freiwilliger Basis. Unterstützt von der evangelischen und katholischen Kirche, will die Bürgerinitiative Pro-Reli im Herbst ein Volksbegehren für die Gleichstellung beider Fächer starten. Ziel ist es, dass sich Schüler beziehungsweise Eltern ab Klasse eins für Ethik oder für Religion entscheiden.

Bei einer Anhörung im Bildungsausschuss des Abgeordnetenhauses am Donnerstag bekräftigten Vertreter der Bürgerinitiative und der evangelischen Kirche ihre Absicht. „Der Senat soll die Wahlfreiheit der Eltern ernst nehmen“, forderte Pro-Reli-Vorsitzender Christoph Lehmann. CDU und FDP unterstützen das Ansinnen.

Die Tempelhof-Abstimmung Ende April haben die Regierungsparteien zwar gewonnen – trotzdem möchten sie einen neuerlichen vorgezogenen Wahlkampf wie beim letzten Volksentscheid am liebsten verhindern. Doch Gaebler ist skeptisch, ob das gelingen kann: „Friedbert Pflüger wird versuchen, das Volksbegehrern als neue Profilierungsmöglichkeit zu nutzen.“ Auch seien die Kirchenvertreter derzeit nicht gewillt, als Gäste im Ethikunterricht zu sitzen.

Zwar gibt es Kooperationen derzeit bereits an 60 Berliner Schulen: Am Sophie-Charlotte-Gymnasium etwa bestreiten Religions- und Ethiklehrer die zwei Wochenstunden gemeinsam. Der Wunsch nach einem eigenen Fach Religion bliebe dennoch, sagt die Sprecherin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Heike Krohn. „Aber wir könnten zu bestimmten Themen und Tagen zusammenkommen.“ Ähnlich sieht es auch die katholische Kirche. „Konkrete Kooperationen in der Schule sind nur sinnvoll, wenn Augenhöhe besteht“, meint der Sprecher des Erzbistums Berlin, Stefan Förner. Seit Einführung des Faches Ethik klagen die evangelische und die katholische Kirche über sinkende Teilnehmerzahlen insbesondere in der Oberstufe. Allerdings werden die Schüler insgesamt weniger, und bezogen auf die Gesamtschülerzahl bewegen sich die Verluste der konfessionellen Fächer im einstelligen Prozentbereich.

Doch die Kirchenvertreter denken in die Zukunft. Waren vor zehn Jahren noch 37 Prozent der Berliner kirchlich gebunden, sind es aktuell 31 Prozent, Tendenz weiter sinkend. Der Abwärtstrend spiegelt sich auch an den Schulen wider. Sinkende Anmeldungen könnten dazu führen, dass bald keine Klassen mehr eingerichtet werden, befürchtet Förner vom Erzbistum. „Wir müssen präsent bleiben. Sind wir einmal draußen, kommen wir nicht wieder rein in die Schule.“