„Non“ zu Sarkozys Rentenreform

Bei einem „nationalen Aktionstag“ demonstrieren überall in Frankreich Zigtausende gegen die Pläne der Regierung, die Lebensarbeitszeit auf 41 Beitragsjahre zu verlängern – für die Gewerkschaften wie für Präsident Sarkozy eine Kraftprobe

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Arbeiten bis zum Umfallen – oder eine Rente, die zum Leben reicht? Auf diese Frage haben am Donnerstag in Frankreich hunderttausende Menschen bei mehr als 80 Demonstrationen geantwortet. Parallel dazu fanden punktuelle Streiks in zahlreichen Branchen statt: von der Luftfahrt über den Zugverkehr und die Schulen bis hin zu Post, Radio und öffentlichen Verkehrsbetrieben. Das zentrale Stichwort der Proteste ist „non“ zu der Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 41 Beitragsjahre, wie sie die französische Regierung plant.

In seltener Einigkeit riefen alle großen Gewerkschaften gemeinsam zu dem „nationalen Aktionstag“ auf. Der Aktionstag ist eine doppelte Kraftprobe: Für Staatspräsident Nicolas Sarkozy, für den die „Reformen“ der Sozialversicherungen ein Hauptziel sind. Und für die Gewerkschaften, die unter sinkenden Mitgliederzahlen leiden und die ihre Mobilisierungsfähigkeit testen wollen.

Zum Erfolg der Demonstrationen trägt bei, dass im „Non“ verschiedene soziale Bewegungen und verschiedene Generationen zusammenkommen. Große Blocks stellen vielerorts die SchülerInnen und StudentInnen, die seit Wochen gegen die Streichung von mehr als 11.000 Lehrstellen im kommenden Schuljahr protestieren. Und die RentnerInnen. Sie sind nicht nur mit ihrer sinkenden Kaufkraft konfrontiert, sondern auch mit neuen – und oft hohen – Eigenbeteiligungen an Arzt- und Medizinkosten.

Besonders präsent ist auch die Altersgruppe der über 50-Jährigen. Die „travailleurs seniors“ in Frankreich werden zunehmend aus dem Berufsleben gedrängt. Begründung: Sie gelten als zu „teuer“ und zu wenig „flexibel“. Beim Eintritt in das Rentenalter stehen in Frankreich schon jetzt nur noch vier von zehn Arbeitskräften in Lohn und Brot. Allen anderen fehlen Beitragsjahre zur gesetzlichen Rentenversicherung. Das reduziert automatisch ihren Rentenanspruch. Die „travailleurs seniors“ fühlen sich massiv von Altersarmut bedroht. Denn je höher die Zahl der Pflichtbeitragsjahre ist, desto größer wird automatisch auch die Zahl jener werden, die niemals ihre volle Rente erhalten können.

„Mit 60 werden wir wohl in die Armenküche gehen“, witzelt ein 50-Jähriger unter den 12.000 DemonstrantInnen in Lyon bitter. „Muss eine Kassiererin mit einer Teilzeitstelle künftig 80 Jahre lang arbeiten, um ihre volle Rente zu erwirken?“, fragen Supermarktangestellte in der südwestfranzösischen Stadt Perigueux. In Bordeaux, wo unter den nach Gewerkschaftsangaben 25.000 Demonstrierenden auch zahlreiche Beschäftigte des europäischen Luftfahrtkonzerns Eads mitmarschieren, ist zu lesen: „Wir haben uns geschlagen, um die Rente zu gewinnen. Jetzt werden wir uns schlagen, um sie zu behalten.“

„Die Jungen im Elend, die Alten im Elend – diese Gesellschaft wollen wir nicht“ ist als Slogan bei der zentralen Demo in Paris zu hören, an der zigtausende Menschen teilnahmen. Viele in Paris tragen ein Plakat mit der Aufschrift: „Touche pas à ma retraite“ (Rühr meine Rente nicht an). Die BeamtInnen stellen in Paris das Gros der DemonstrantInnen. Auch Beschäftigte aus Privatunternehmen sind zahlreich vertreten, unter anderem vom Autokonzern Peugeot und der Baugruppe Vinci. Daneben demonstrieren große Gruppen eingewanderte Beschäftigte ohne Papiere. Viele von ihnen streiken seit Wochen für legale Aufenthaltspapiere.

Eine Umfrage im Auftrag der Zeitung Humanité zeigt, dass die Protestbewegung gegen die Verlängerung der Lebensarbeitszeit viel Sympathie in der Bevölkerung genießt. 58 Prozent der Franzosen haben Verständnis dafür.