GAU-Gerücht verunsichert St. Petersburg

Gerücht über AKW-Zwischenfall hielt die Bewohner der russischen Stadt in Atem. Bestätigung gab es jedoch keine

SANKT PETERSBURG taz ■ „Das ist das zweite Tschernobyl!“ Ein junger Mann brachte auf den Punkt, was ganz St. Petersburg für kurze Zeit dachte. Am Mittwoch ging die Information über einen angeblichen Zwischenfall im „Leningrader Atomkraftwerk“ wie ein Lauffeuer durch die zweitgrößte Stadt Russlands.

Über Telefon und SMS benachrichtigten die Bewohner der Millionenstadt ihre Familien und Freunde. Auf verlässliche Informationen konnte sich niemand stützen, doch die Angst wog mehr als offizielle Nachrichten. Dass Massenmedien und Sicherheitsbehörden anfänglich schwiegen, verdichtete die Befürchtungen. Erst gegen Nachmittag – in den meisten Apotheken war bereits kein Jod mehr zu haben – tauchten die ersten Dementis auf. Doch da war die Viereinhalb-Millionen-Stadt längst elektrisiert. Beschäftige berichten, dass ihre Arbeitgeber sie anwiesen, Türen und Fenster zu schließen, Jod einzunehmen und nicht an die frische Luft zu gehen.

Mittlerweile hat auch Greenpeace gemeldet, keine erhöhten Strahlenwerte gemessen zu haben. Doch eine Entwarnung wollten die Umweltorganisation nicht geben. „Eine unabhängige Expertenkommission konnte die Informationen noch nicht überprüfen“, sagte ein Greenpeace-Sprecher. Tatsächlich hielten sich auch am Tag darauf die Gerüchte, dass es doch zu einem Zwischenfall gekommen sei. „Ein Hitzeschild soll gebrannt haben“, berichteten angeblich Mitarbeiter des Atomkraftwerks.

Pressestellen üben sich derweil im Beschwichtigen: Weder bei Fluglinien noch der Russischen Bahn gebe es eine erhöhte Nachfrage, um sich in saubere Gebiete abzusetzen. Unter der Hand verriet allerdings eine Mitarbeiterin der örtlichen Lufthansa-Niederlassung: „Natürlich ist das nicht ganz die Wahrheit.“TIM MERGELSBERG