Säkulare Gottesbeweise

Manchmal beinahe unfassbar gut: der Lyriker Les Murray

Alles außer der Sprache / kennt den Sinn der Existenz“ heißt es in einem Gedicht von Les Murray. Aber der australische Dichter, geboren 1938 in Nabiac, New South Wales, will sich damit offenbar nicht abfinden; seine im weitesten Sinne Naturpoesie ist der Versuch, durch den intimen Umgang mit den Weltphänomenen, durch die poetische Aufhebung in der Sprache auch etwas von ihrem essenziellen Geheimnis einzufangen. Im Grunde ähnelt er da den Aufklärern wie Barthold Hinrich Brockes, deren Natur- und Lehrgedichte kleine Gottesbeweise waren. Einen solchen teleologischen Subtext könnte man auch Murray unterstellen – wenn auch vielleicht in einer säkularisierten und nicht mehr so naiv-optimistischen Variante. Es gibt bei ihm keinen gütigen Schöpfergott mehr, und er hat genug von der modernen Sprachskepsis verinnerlicht, als dass er glauben könnte, der Welt und der dranhängenden Transzendenz einfach so habhaft werden zu können. Das glückt eben nur epiphanisch, im besonderen poetischen Moment.

Diese Epiphanien sind profansten Ursprungs. Das Lied schläft bei Murray wirklich in allen Dingen. Man muss an Frank O’Haras Diktum denken, wonach alles Platz im Gedicht finden kann, wenn man nur genau genug hinguckt: das Gefühl beim Landen des Flugzeugs ebenso wie die aufgeschnittene Leiche in der Pathologie, ein ausgesetzter Hund mit einem Rippenknochen in der Schnauze, ein Friseur bei der Arbeit oder ein chromglänzender, stinkender Dragster kurz vorm Start. Diese Welthaltigkeit, diese enorme Konzilianz gegenüber dem, was der Fall ist, zeichnet seine Gedichte aus. Und seine Fähigkeit zur sprachlichen Individuation, also die stilistische Potenz, das Singuläre des Beobachteten auch als solches im Sound der Worte erfahrbar zu machen.

Naturgemäß gelingt ihm das nicht immer, bei den Landschaftsgedichten stellt sich bisweilen kein Bild ein, löst sich der sprachliche Ausdruck nicht genug von seinem subjektiven Eindruck. Aber ein Gedicht wie „Die Kühe am Schlachttag“ ist schon beinahe unfassbar gut. Er gibt hier der entsetzten, leidenden Kreatur selbst eine Stimme, lässt die Tiere einen kollektiven Klagegesang anstimmen, der zugleich auch die Trauer über die Bedingungen des Menschlichen enthält: „Alle ich kommen gerannt. Es ist wie der heiße Teil des Himmels / der schwer anzuschauen ist, was jetzt geschieht hinter Holz / im rohen Hof. Ein glänzendes Blatt wie vom bitteren Eukalyptus / ist bei den Menschen. Es arbeitet im Hals von mir / und das Schreckliche flutet hinaus, sumpfig und schäumend. Alle ich machen das Brüllen“.

Die Übersetzerin Margitt Lehbert, die sich seit über zehn Jahren um Les Murrays Poesie hierzulande bemüht und dessen umfangreiches Werk in ihrem eigenen kleinen Verlag, der Edition Rugerup, erscheinen lässt – schön gestaltete, konsequent zweisprachige Bücher, wie es sich gehört –, findet eine dem Dichter gemäße Sprache. Man ist nicht ständig versucht, auf die linke Seite mit dem Original zu schauen, aber es lohnt sich trotzdem fast immer, wenn man sich die Mühe macht. FRANK SCHÄFER

Les Murray: „Gedichte, groß wie Photos“. 191 Seiten, 19,90 Euro; „Übersetzung aus der Natur“. 90 Seiten, 17,90 Euro; „Heilige Kühe“. Mit Zeichnungen von Johannes Beyerle. 63 Seiten, 31 Euro. Alle übersetzt von Margitt Lehbert. Edition Rugerup, Hörby