Ein Mann wie ein Orchester

Toumani Diabaté ist nicht nur begnadeter Musiker, sondern auch musikalischer Botschafter. An die Wurzeln der westafrikanischen Mandé-Hochkultur will der Großmeister der Kora anknüpfen

Der riesige Wandteppich mit den spanischen Galeonen im Hafen von Sevilla bildet einen starken Kontrast zu dem schwarzen Mann, der im traditionellen Gewand der Mandinka an den Saiten seiner bauchigen, aus einer Kalebasse gefertigten Stegharfe zupft. Kaskadengleich perlen die Töne durch den Saal, der von riesigen Gobelins mit Motiven aus der Kolonialgeschichte Spaniens geschmückt ist. Die Szenen an den Wänden stehen im Widerspruch zu den maurischen Architekturelementen, die den ältesten bewohnten Königspalast Europas genauso prägen wie Elemente aus Gotik und Renaissance. An einem Ort, wo Europa und Afrika sich so offensichtlich treffen, wollte Toumani Diabaté sein neues Album „The Mandé Variations“ vorstellen. „Sevilla ist eine Schnittstelle zwischen den Kontinenten und damit ein optimaler Ort, um Menschen aus Nord und Süd mit meiner Musik zu erreichen“, sagt Diabaté lächelnd.

Sichtlich zufrieden ist der kleine Mann mit den langen, flinken Fingern, nachdem er sein erstes Soloalbum seit über zwanzig Jahren vorgestellt hat. Nicht nur eine Hommage an das Instrument, welches ihn groß gemacht hat, sondern auch an die Kultur seines Volkes, der Mandinka. „Die Kora ist der Personalausweis unserer Kultur, denn anders als unsere anderen traditionellen Instrumente kann man sie nicht woanders finden“, sagt der 43-Jährige und lässt die Finger spielerisch über die 21 Saiten gleiten.

Niemand spielt das Instrument derart virtuos wie Diabaté, dessen Vater schon als König der Kora gefeiert wurde. In dessen Fußstapfen ist Toumani getreten, der wie der Vater in Malis Hauptstadt Bamako lebt, sich aber nicht allein als Musiker begreift. Als „Botschafter der Kora“ bezeichnet sich der Barde und folgerichtig unterhält er in Bamako nicht nur eine Koraschule, sondern auch eine kleine Instrumentenfabrik. Aus der stammen die bauchigen Instrumente, die Malis Präsident Amadou Toumani Touré seinen Staatsgästen als Geschenk zur Erinnerung überreicht. Zuvor haben die Gäste jedoch gemeinhin schon einen Set von Diabaté genießen können.

Unter dessen Fingern mutiert die Kora zum Orchester. Mit Daumen und Zeigefinger beider Hände entlockt der Meister dem Instrument neben der Basslinie scheinbar mühelos die Melodie und setzt obendrein noch Akzente mit kleinen improvisierten Soli. Diesem verblüffenden Spiel hat es Toumani Diabaté zu verdanken, dass er international überaus gefragt ist. Mit Jazzposaunist Roswell Rudd hat er genauso wie mit Bluesveteran Taj Mahal und Björk gearbeitet. Wenn Diabaté nicht unterwegs ist, arbeitet er mit seinem „Symmetric Orchestra“ in Bamako. Die Bigband kombiniert bewusst Musiktraditionen aus ganz Westafrika und deren Musiker kommen aus dem gesamten Einzugsbereich des alten Mandé-Reiches. Das erstreckte sich im 13. Jahrhundert über mehr als ein halbes Dutzend Länder und die Aufgabe der knapp 20 Musiker des Orchestras ist es, mit musikalischen Mitteln die Kultur der Mandé wiederaufleben zu lassen, sagt Diabaté.

Dabei geht der Meister natürlich forsch voran und sein neues Album ist eine andere Facette des gleichen Projekts und die Wiederholung eines historischen Experiments. Vor gut zwanzig Jahren, mit gerade mal 21 Jahren, hatte Toumani mit „Kaira“ erstmals ein Kora-Album ohne jegliche Begleitung aufgenommen und wurde daraufhin weltweit für sein modernes Spiel gelobt. Das muss der Großmeister heute niemandem mehr beweisen und doch war es laut Diabaté überfällig, erneut allein mit der Kora ins Studio zu gehen.

Ein rein afrikanisches Album wollte er gemeinsam mit „World Circuit“-Labelchef, Produzent und Freund Nick Gold aufnehmen und der erfüllte ihm seinen Traum. Ohne Overdubs, Effekte und Samples kommt „The Mandé Variations“ aus und ist mehr als eine weitere Hommage an ein Instrument: der Appell an die Jugend des Kontinents, die eigenen Wurzeln zu entdecken und schätzen zu lernen – und obendrein eine klingende Brücke zwischen den Kontinenten. Die kann man heute in der Fabrik beschreiten.KNUT HENKEL

So, 25. 5., 21 Uhr, Fabrik, Barnerstraße 36