Bestraft sie endlich!

Die Blase platzt, der Mensch steht nackt: Dimiter Gotscheff inszeniert „Ubukönig“ an der Volksbühne

Das berühmte Wort fällt gleich zu Beginn: „Scheiße“. Dimiter Gotscheff lässt seinen „Ubukönig“ mit dem Wort beginnen, das Alfred Jarry Ruhm brachte, dank der Obszönität seiner Groteske. Gotscheff testet an der Volksbühne aus, was vom 1896 erstmals aufgeführten „König Ubu“ noch zu gebrauchen ist. Die Besetzung ist aufs Wesentliche zusammengestrichen, die Bühnenausstattung ebenso: die Bühne ist undekoriert, aber gefüllt mit bunten, teils sehr großen Luftballons. Hinter einem verbergen sich zu Beginn Wolfram Koch und Samuel Finzi, die abwechselnd Herrn und Frau Ubu spielen werden. Der Ballon, die durchsichtige Blase, platzt, die Menschen stehen nackt im Raum.

Und schon folgt, auf die frühe „Scheiße“, zum ersten Mal Heiner Müller, das Dramolett „Herzstück“, in dem festgestellt wird, dass das Herz ein Ziegelstein ist – „Aber es schlägt nur für Sie.“ Die Zuschauer werden noch öfter Sentenzen von Müller hören.

Dann entspinnt Gotscheff seinen Ubu, in dem das Ehepaar Ubu erst qua Mord und Intrige zum Königspaar wird, dann seine Mitverschwörer und das Volk auspresst. Finzi und Koch dürfen sich aufs Schönste ausagieren, dürfen seufzen, rülpsen, furzen, und man sehnt sich, immer wieder lauthals lachend, nach der Erlösung, nach der Bestrafung des widerlichen Ehepaars. Doch die Bestrafung verweigert Gotscheff, wir müssen den „Funny Games“ weiterhin zusehen. Jeder, der sich den Ubus in den Weg stellt, um die Ordnung wieder herzustellen, wird getötet und noch als Leiche verhöhnt. Die Seele steigt als Ballon zu Himmel und fällt wieder zu Boden.

Die ans Kindliche appellierende Schönheit der Ballons, die brachiale Rohheit des Ubu-Königspaars beglücken zunächst. Doch die Groteske wirkt, nach und nach wird das Lachen immer weniger erleichternd.

Gotscheff hat es geschafft, mit „Ubukönig“ das Brauchbare des Stücks herauszuarbeiten, er lässt sein Ensemble mit den Ballons und ihrem Können spielen, um schließlich den Ball ins Publikum zu geben – das ist wörtlich zu nehmen, permanent fliegen Ballons ins Publikum und werden sanft zurückgebufft. Am Ende aber bleiben viele Ballons vor der Bühne liegen.

In der ersten Reihe saß während der Premiere der Berliner Finanzsenator, er wurde, wie alle, nach der Erheiterung zusehends immer steifer. Dass Theater dies vermag, war schön zu sehen. Die Frage nach der Aktualität von Jarrys Groteske ist eine Frage, die nur im Theatersaal wirkt und schon an der Garderobe vergessen ist. Doch die Überprüfung eines klassischen Textes der Moderne ist wichtig. Und Gotscheff beschert seinem Publikum in wenigen Minuten alles, was das moderne Theater ausgemacht hat. JÖRG SUNDERMEIER

Wieder in der Volksbühne am 24. + 28. Mai und am 5. Juni