Opa, erzähl von dem Fluch der Angst

betr.: „verboten“, taz vom 20. 5. 08

sehr geehrte frau dr. verboten, wenn ich richtig gerechnet habe, entstammen die von ihnen als kriegsverbrecher bezichtigten den jahrgängen 1915–1948. bei hitlers machtergreifung waren sie also höchstens achtzzehn jahre alt, der größte teil war jünger oder noch gar nicht geboren und gehörte damit genau zu der generation, die an den fronten des zweiten weltkriegs als kinder und jugendliche faschistisch indoktriniert, verheizt wurde, ohne wirklich kritisches, widerständiges bewusstsein in nazideutschland entwickeln zu können.

diese generation hat keine heldensagen zu erzählen, so viel schiss hatten sie in der hose. ihre heldensagen sind die des blanken überlebens und des entsetzens über den verrat. der verräter schläft nie, war damals – so opa – ein sprichwort, das die tägliche angst vor dem verrat gebar und den ängstlichen blick auf den nachbarn.

darum schließe ich mich ihren worten an und sage: opa erzähl! opa erzähl, was hast du gesehen? was hast du gehört? wie hast du die reichskristallnacht erlebt? und: wie war es, als am morgen danach die hälfte deiner klassenkameraden fehlte? was hat das mit dir gemacht? erzähl von den halbverhungerten auf dem weg in die gaskammern, die du in den güterwaggons gesehen hast, als du selbst auf dem weg an irgendeine front warst. erzähl von der angst auf der flucht. erzähl von dem fluch der angst. erzähl uns davon.

wir brauchen deine erzählungen als erinnernde mahnung in unseren familien. REGINA KÜPPEL, Bielefeld