GESUNDHEITSPOLITIK: ULLA SCHMIDT WILL NUR NOCH KONFLIKTE VERMEIDEN
: Realitätsverlust in der Praxis

Das Beispiel ist eines von vielen: Für die Salbe, die die Ärztin immer verschrieben hat, kann sie plötzlich kein Rezept mehr ausstellen – das Budget ist zu knapp. Nun haben es Ärztevertreter erstmals öffentlich gesagt: Rationierung findet in der Praxis längst statt. Die Reaktion der Politik darauf ist irritierend: Was nicht im Gesetz steht, kann nicht sein, heißt es aus dem Bundesgesundheitsministerium. Mit dem gleichen Argument könnte man die Kriminalitätsstatistik abschaffen: Weil Straftaten untersagt sind, kommen sie nicht vor.

Theoretisch ist unser Gesundheitssystem vollkommen: Es gibt keine Wartelisten beim Facharzt, jeder hat Anspruch auf die Behandlung, die er braucht, und Ärzten ist es völlig egal, ob die Patienten privat oder gesetzlich versichert sind. So sollte es laut Gesetz sein. So ist es aber nicht.

Dass die SPD-Gesundheitsministerin solche Probleme nicht anerkennt, hat mit ihrer Politik zu tun: Zusammen mit der Union hat sie eine Gesundheitsreform auf die Beine gestellt, die nicht aus dem Knick kommt. Statt die Finanzierung des Gesundheitswesens in einer älter werdenden Gesellschaft nachhaltig zu sichern, hat die Koalition eine neue Zuteilungsmaschinerie, den Gesundheitsfonds, ausgebrütet, der keinerlei neue Einnahmen generiert.

Und obwohl die Einnahmebasis der gesetzlichen Versicherung wackliger denn je ist, haben die Regierungsparteien neue Wohltaten für die Versicherten beschlossen – in der Hoffnung, dass diese das bei der nächsten Wahl entsprechend honorieren. Auch die Ärzte bekommen etwa 3 Milliarden Euro zusätzlich für Honorare – obwohl sie doch laut Ulla Schmidt so raffgierig sind.

Diese Probleme anzuerkennen und sich mit den Lobbygruppen anzulegen wäre ein politisches Wagnis im Interesse der Allgemeinheit. Stattdessen hat sich die große Koalition einer Politik verschrieben, die keine Probleme lösen soll, sondern Konflikte vermeiden will. Kurzfristig mag das funktionieren – langfristig werden sich die Wähler enttäuscht abwenden. In den Behandlungsräumen stehen sich abwiegelnde Ärzte und fordernde Patienten weiter gegenüber, ob Ulla Schmidt es nun zur Kenntnis nimmt oder nicht. ANNA LEHMANN