Das Ziel heißt vierte Liga

Die Niederlage gegen Union Berlin ist nicht das Problem – in dieser Saison kann der VfB Lübeck sowieso nichts mehr reißen. Der Vorsitzende verkauft derweil Lebensdauerkarten

VON ROGER REPPLINGER

Nach dem Spiel liegen die Fans des VfB Lübeck im Gras hinter Block B. Sie haben sich hier zum „Abschieds-Grillen“ getroffen, ihre Trikots haben die gleiche Farbe wie die Kampfmontur der Polizei. Es sind auch „Retter“-T-Shirts und Hemden mit dem Konterfei von Stürmer Daniel Bärwolf zu sehen, der von 2000 bis 2007 in Lübeck spielte. Einige laufen mit der Aufschrift „Keine Angst! Wir kommen wieder“ herum.

Der Gegner im letzten Heimspiel der Regionalliga Nord ist Union Berlin. Für Lübeck geht es sportlich um nichts, die Union kämpft um jedes Tor für den Aufstieg in die Zweite Liga. Das Spiel endet vor 4.479 Zuschauern mit einem 3 : 7.

Die Stimmung ist gelassen, aber nur auf den ersten Blick. Die VfB-Anhänger glauben nicht, dass der Verein das Geld zusammenbekommt, um eine Lizenz für die vierte Liga, die künftige Regionalliga, zu bekommen. „Die Vereinsführung ist optimistisch“, sagt einer, „aber das war sie immer, auch in der Zeit, als sie den Karren an die Wand fuhren.“ Und der Sprecher der Fans, der seinen Namen nicht nennen will, glaubt auch nicht an einen Erfolg des Vereinsvorsitzenden Wolfgang Piest. Der Fansprecher ist Fatalist: „Wir gehen hier immer hin, die Liga ist egal: Vierte, fünfte, sechste.“

Vor dem Spiel liegen im Zimmer des Vorsitzenden 16 Blumensträuße auf dem Teppich und auf dem Tisch 16 Marzipanschachteln. Außerdem ein paar Flaschen Wein. 14 Spieler, Trainer Uwe Fuchs, dessen Co-Trainer und Nachfolger Peter Schubert und der Stadionsprecher werden verabschiedet. Das ist ein Schnitt.

Die beiden Wirtschaftsräte, die den VfB Lübeck führten, waren im Januar 2008 zurückgetreten. Zu den Gründen sagt der Vereinsvorsitzende Piest, der von Beruf Schulleiter ist, nichts, er setzt stattdessen das „Nicht versetzt“-Gesicht auf. „Ich schaue nach vorne“, sagt er, „das hat auch was mit der Frage von Energie und Kraft zu tun, und damit, worauf man sich konzentriert.“

Seit dem Rücktritt der Wirtschaftsräte ist Piest operativ tätig. Der VfB Lübeck hat Schulden in Höhe von etwa fünf Millionen Euro, mit denen sich der Insolvenzverwalter herumschlägt, ein Rechtsanwalt aus Hamburg. Gegen Union Berlin war der Insolvenzverwalter nicht im Stadion, aber beim „Retter“-Spiel am vergangenen Donnerstag gegen Hannover 96. Das Spiel brachte 30.000 Euro, 10.000 weniger als die Partie gegen den FC St. Pauli.

Im April 2008 wurde die Insolvenz beantragt, weil das Spiel gegen Fortuna Düsseldorf ausgefallen war, und wegen der fehlenden Einnahmen die Sozialversicherungsabgaben für die Spieler nicht mehr bezahlt werden konnten. Seitdem bekommen die Spieler ihr Geld vom Arbeitsamt. „Es gibt, wie das bei einer Insolvenz ist, viele unbeglichene Rechnungen“, sagt Piest. Die Gläubiger: Banken, Unternehmen, Privatleute, müssen bei einem Vergleich mit hohen Verlusten rechnen. Im Juni geht der Verein in die Insolvenz. „Die Insolvenz ist eine Chance, sie gibt uns Luft“, sagt Piest.

Piests Aufgabe besteht darin, Sponsoren für Banden, Trikots und Ärmel zu finden sowie Lebensdauer-Karten zum Preis von 19.919 Euro, T-Shirts und Retter-Paketen zu verkaufen. Nur so gibt es Hoffnung auf ein Weiterspielen in der vierten Liga. Eine Sanierung des Vereins gelinge dort leichter, sagt Piest.

Es habe eine Zeit der „Hoffnungsblasen“ gegeben, „die mit Darlehen gefüttert wurden, bis die Hoffnungen platzten und die Darlehen blieben“, erzählt Piest. Auch ihm habe damals gedämmert, dass der Weg entweder „nach oben oder an die Wand führt“.

Eine Lebensdauerkarte hat Piest verkauft, an der zweiten arbeitet er. 20 sind sein Ziel. „Es lohnt sich, zu uns zu stehen“, sagt er, „wir werden in der vierten Liga spielen, davon bin ich überzeugt.“ Die Fans auf dem Gras sind nicht überzeugt. Aber die muss Piest nicht gewinnen.