„Rein spekulativ“

Der Giro rollt, Emanuele Sella aus Italien hat am Wochenende einen Doppelsieg in den Bergen gefeiert und der Spanier Alberto Contador fährt im Rosa Trikot. Das sind die sportlichen Meldungen, doch die Rundfahrt hat auch einen vermeintlichen Dopingfall. Es geht um ein Mittel, das bisher in einem anderen Zusammenhang leistungssteigernd wirken sollte: Viagra. Dopinganalytiker Wilhelm Schänzer erklärt, was es damit auf sich hat.

taz: Herr Schänzer, der italienische Radprofi Andrea Moletta (29) wurde von seinem Rennstall Gerolsteiner aus dem Rennen genommen, weil sein Vater im Zusammenhang mit einem Fund von 82 Packungen Viagra erwähnt wurde. Kann man mit Viagra dopen?

Wilhelm Schänzer: Der Wirkstoff von Viagra, Sildenafil, steht nicht auf der Dopingliste. Deshalb ist Viagra derzeit nicht doping-relevant. Es könnte nur ein Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz vorliegen, wenn der Fahrer kein gültiges Rezept besitzt.

Würde Viagra im Radsport leistungssteigernd wirken?

Das ist nicht eindeutig geklärt. Vermutet wird, dass die gefäßerweiternde Wirkung von Sildenafil zu einer besseren Atmung und Sauerstoffversorgung führt. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Behebung der erektilen Dysfunktion die Durchblutung generell verbessert. Das ist aber alles noch rein spekulativ.

Gibt es denn auch wissenschaftliche Erkenntnisse?

Soweit ich weiß, wurde in einer Studie nachgewiesen, dass Bergsteiger einen geringen positiven Effekt durch Viagra erfahren. Außerdem hat die Welt-Anti-Doping-Agentur in den USA eine Studie in Auftrag gegeben, in der die Wirkweise von Sildenafil erforscht werden soll. Wir können aber noch keine ausreichenden Aussagen treffen, weil Viagra-Doping im Leistungssport bisher nicht systematisch angewandt wird.

Und ist es gefährlich?

Ein Risiko besteht, weil die Wirkweise noch nicht sicher erforscht ist und es durchaus auch Nebenwirkungen gibt: eingeschränkte Sehfähigkeit, Kopfschmerzen sowie Gefäßerkrankungen.

INTERVIEW: JOHN HENNIG