Die Moderne in sieben Containern

Die Ausstellung „Typisch Wolfsburg!“ feiert die moderne Architektur der einstigen NS-Retortenstadt. So informativ und ansehnlich sie das auch tut: Fragen nach den politischen und kulturellen Bedingungen für die bemerkenswert hohe Dichte an wichtigen Gebäuden bleiben leider unbeantwortet

VON BETTINA MARIA BROSOWSKY

„Geld schießt Tore“ – so lautete, etwas hämisch, der Kommentar der Medien zum finalen fünften Tabellenplatz des VfL Wolfsburg in der gerade beendeten Bundesligasaison. „Geld baut eine Stadt“ – so ließe sich, etwas vorschnell, die kurze Geschichte Wolfsburgs zusammenfassen, oder besser: der von offizieller Seite gern beschworene Erfolgsmythos der Kommune. Am 1. Juli jährt sich zum 70. Mal das Gründungsdatum der Stadt, 1938 von den Nationalsozialisten als „Stadt des Kdf-Wagens bei Fallersleben“ im Dienste der Volksmotorisierung aus der Taufe gehoben.

Während das benachbarte Braunschweig seine fast 1000-jährige Geschichte zur kollektiven Welfenseligkeit verklärt, zelebriert Wolfsburg in adoleszentem Fortschrittsglauben den Blick nach vorn: „Auf der Suche nach der Moderne im 21. Jahrhundert“ umschreibt das örtliche Kunstmuseum seine aktuelle thematische Ausrichtung und stärkt die lokale Vernetzung mit der so bezeichneten „Modellstadt der Globalisierung im kleinen Maßstab“.

Wolfsburg rühmt sich einer in der Bundesrepublik einmaligen Zahl denkmalgeschützter Bauten der Nachkriegszeit. Die internationale Architektenprominenz hinterließ und hinterlässt hier wichtige Projekte, teils ungebaut teils realisiert. In einem Freilichtmuseum der Moderne sind nun wesentliche Konzepte der Architektur- und Stadtbaugeschichte des 20. sowie beginnenden 21. Jahrhunderts in weitgehend originaler Substanz vertreten – eine Leistungsschau des städtischen Forums Architektur, deutlich weniger umfangreich als jene historische Rückschau zum 50. Geburtstag der Stadt, dafür beweglich: Nach ihrer ersten Etappe in der Stadtmitte ist die Schau ab Ende Juni auf Wanderschaft in die Ortsteile. Verpackt in sieben Container fokussiert sie zum 70-jährigen Jubiläum in sieben so genannten „Schichten“ exemplarische Landmarken aus dem städtebaulichen, architektonischen und grünplanerischen Fundus der Stadt.

Die erste Schicht zur neuen Stadt legte zwangsläufig der Industriebau, eindringlich präsent mit dem 1,5 Kilometer langen Produktionsgebäude des VW-Werkes, in den Jahren ab 1938 direkt am Mittellandkanal errichtet. Eine kontinuierliche Produktion in den Werkshallen war dann auch der sprichwörtliche Motor der Stadtentwicklung direkt nach Ende des Zweiten Weltkrieges: Bereits im August 1945 orderte die britische Militärregierung 20.000 Fahrzeuge für den Transportbedarf ihrer Besatzungsaufgaben und baute mit reichlich Improvisationstalent den vormaligen Rüstungsbetrieb zur Automobilfertigung um. Ab Sommer 1947 ging dann der VW Käfer zur Devisenbeschaffung in den Export.

Das Sorgenkind der Stadtentwicklung blieb lange Zeit der Wohnungsbau, die zweite Schicht: Nur rund 3.200 Wohnungen zählte Wolfsburg um 1945, im rechnerischen Durchschnitt belegt mit jeweils fünf Personen – zwei mehr als im stark kriegszerstörten Berlin. Von 1950 bis in die 1970er Jahre hinein wurde der Nachholbedarf dann mit großen Schritten in neuen Stadtteilen aufgeholt, die den dezentralisierten Charakter Wolfsburgs bestimmen. Die schwerpunktmäßig öffentlich geförderten Wohnungsbauten reichen vom 13-geschossigen Stufenhochhaus bis zur Teppichsiedlung aus verdichteten Einfamilienhäusern und waren häufig Vorreiter für andere bundesdeutsche Städte. Die dritte Schicht, das Bauen für Versorgung und Einzelhandel, folgte den gängigen Trends – inklusive des fundamentalen Fehlers, ausgerechnet die magistrale Porschestraße zur privatwirtschaftlich überbauten Fußgängerzone umfunktioniert und gerade die ersehnte Urbanität aus der Innenstadt verbannt zu haben.

Die vierte bis sechste Schicht, Bildungs-, Sakral- und Kulturbauten, bilden bis heute die Höhepunkte der Architekturgeschichte Wolfsburgs: Alvar Aaltos Kulturhaus und zwei Kirchenbauten von ihm, Hans Scharouns Theater, Zaha Hadids Science Centre sind die berühmtesten Exponenten. E gibt aber auch Unbekannteres in den Ausstellungscontainern zu entdecken, beispielsweise ein trotz zweifacher Konzeptvorlage in den 1960ern unrealisiert gebliebenes evangelisches Kirchenzentrum aus der Feder Scharouns, das als Modellrekonstruktion nun späte Würdigung erfährt. Eine siebte Schicht, die Landschaft, bindet dann alles, mehr oder weniger prägnant ausformuliert, zusammen.

So informativ und ansehnlich die Ausstellung gemacht ist: Sie lässt doch wesentliche Fragen unbeantwortet. Welches mentale Klima, welcher politische und kulturelle Konsens sind in einer Stadt notwendig, um in nur 70 Jahren dieses Pensum auf diesem eindrücklichen Niveau zu ermöglichen? Und: Welche Perspektiven bestehen angesichts zunehmender Ökonomisierung aller Lebensbereiche für eine Weiterentwicklung des Gemeinwesens und seiner kulturpolitisch wie architektonisch vorbildlichen Einrichtungen? Ein auskömmlicher Etat ist da zweifelsohne förderlich, alleine aber auch nur der kleinere Teil des Mirakels. Zumindest das zeigt ja auch der Fußball.

„Typisch Wolfsburg! Vom Werden einer neuen Stadt 1938–2008“: bis 22. Juni auf dem Hollerplatz, ab 28. Juni an sieben Standorten. Umfangreiches Begleitprogramm unter www.wolfsburg.de/70_jahre