Wohnen in der Moschee

Einmalig öffnet der „Verband der Islamischen Kulturzentren“ sein Schülerwohnheim im Bremer Stadtteil Osterholz. Hier sollen die Bildungsnachteile von Zwölf- bis 17-Jährigen Kindern türkischer Eltern aus dem Stadtteil ausgeglichen werden

Im Erdgeschoss ist eine Moschee, den Eingangsbereich teilt sich der unauffällige Geschossbau in Bremen-Osterholz mit einem türkischen Imbiss. Wer hinein möchte, der wird gebeten, seine Schuhe einzutauschen gegen ein Paar der schwarzen Ledersandalen, die als Hausschuhe im Vorzimmer bereit stehen. Ansonsten aber ist man überaus gastfreundlich gestimmt beim „Tag des offenen Wohnheims“.

Im Jahr 2005 erlaubte das Landesjugendamt Bremen dem Kölner „Verband der Islamischen Kulturzentren“ (VIKZ), in Osterholz eines seiner bundesweit 19 Schülerwohnheime einzurichten. Seitdem steht Nazim Kara, ein junger Sozialpädagoge, heute im feinen dunklen Anzug, als Heimleiter in Diensten des VIKZ. Zusammen mit dem Imam der Moschee im Erdgeschoss und einer Hilfskraft kümmert er sich um eine Handvoll Zwölf- bis 17-jähriger Jungen aus türkischen Familien.

Karas generöser Einladung an „BürgerInnen, NachbarInnen und VertreterInnen aus Politik und Gesellschaft“ , sich das Heim von innen anzusehen, ist am Nachmittag nur ein Beiratsvertreter gefolgt. Am Morgen war ein Fernsehteam da, doch der Bericht musste ohne Bilder auskommen: „Auf Anordnung der Eltern“ lässt Kara nur die filmen und fotografieren, die eine Erklärung unterschreibt, die den Verwendungszweck der dabei entstandenen Bilder genau festlegt – und ein Bußgeld von 10.000 Euro bei Zuwiderhandlung bestimmt. Dafür präsentiert Kara dann aber auch bereitwillig alle Räume des Gebäudes.

Im ersten Stock endet der Flur mitten im Haus, er mündet auf eine Balustrade, die in den mit prächtigen blauen Fliesenmosaiken ausgestatteten Gebetsraum hineinragt. Die Zimmer mit den türkischen und deutschen Schildern an den Türen, die von dem Flur abgehen, erinnern an eine Jugendherberge vor der Eröffnung: Es hängt kein Poster an der Wand, kein Spielzeug liegt herum, auch keine Kleider. Würden nicht in einem der Aufenthaltsräume einige der Bewohner und ihre Freunde vor einer Spielkonsole sitzen und ein virtuelles Fußballturnier austragen, dann würde eigentlich gar nichts darauf hindeuten, dass hier Kinder leben.

Die jungen Bewohner müssen sich Zimmer teilen. Die Hausordnung ist recht strikt: nach der Schule beaufsichtigtes Lernen, später gemeinsames Abendessen, dann „Gemeinschaftsbesprechung“, und um halb zehn spätestens geht es ins Bett. Dies gelte allerdings nur in der Woche, schränkt Kara ein – am Wochenende seien die Kinder ohnehin nicht im Heim.

In der Freizeit mache man mit den Kindern Ausflüge, die meisten spielen Fußball in einem nahe gelegenen Verein, und im zweiten Stock steht eine Tischtennisplatte. Man betreibe kein Internat, erklärt der Pädagoge, der in Osterholz aufgewachsen ist und „sich überhaupt nicht vorstellen kann, woanders hinzugehen“. Die Jungen besuchen die öffentlichen Schule im Stadtteil, auch ihre Eltern leben hier. Weshalb sie dann nicht gleich bei ihnen bleiben? „Manche der Familien sind überfordert, weil beide Elternteile arbeiten, in den Familien gibt es oft Sprachprobleme.“ Das sei ein „großes Integrationshemmnis“. Dies zu beheben sei das Anliegen der VIKZ: „Mit ihrem deutsch-türkischen Sprachmix kommen die Jungen untereinander klar. Aber was die Lehrer an der Tafel erklären, das verstehen sie oft nicht.“ Im Schülerwohnheim gibt es deswegen tägliche Hausaufgabenhilfe, man achte zudem darauf, „dass die Kinder Deutsch miteinander sprechen“.

Und sonst? „Die religiöse Unterweisung durch den islamischen Theologen ist bei uns rein fakultativ,“ sagt Kara. Dem VIKZ wurde häufig vorgeworfen, dass die Heime eher rigide Koranschule seien. Kara weist das zurück: „An der religiösen Unterweisung müssen die Jungen nur teilnehmen, wenn sie das selbst auch wollen.“ Das einige keine Lust hätten, sei in Ordnung. Dem Verein gehe es darum, die Bildungsnachteile junger Migranten mit Blick auf ihre späteren Berufschancen auszugleichen. Diese Integrationsförderung lässt sich der VIKZ einiges kosten: Nur 150 Euro zahlen die Eltern, sofern erwerbstätig, für die Unterbringung. Kostendeckend, sagt Kara, sei das „natürlich nicht“.CHRISTIAN JAKOB