Fisch platt vom Nordsee-Grund

Heinz Oestmann ist der letzte Fischer aus Finkenwerder, der hinaus auf die Nordsee fährt. Dort fischt er ab, was die großen Schiffe übrig lassen. Am Wochenende verkauft er seinen Fang direkt vom Kutter – und begrüßt seine Stammkunden

VON GERNOT KNÖDLER

Die Krebse leben noch. Ihre Körper sind größer als eine Männerfaust, ihre Scheren so dick wie Walnüsse. Geisterhaft langsam bewegen sie sich in einer flachen Kiste, die der Fischer Heinz Oestmann aus Finkenwerder auf dem Deck seines Kutters stehen hat. Doch die Taschenkrebse mögen noch so beeindruckend sein: Was die Kunden am Sonntagmorgen auf dem Hamburger Fischmarkt kaufen wollen, sind vor allem Schollen.

„Zwei Kilo ‘nen Zehner“, sagt Oestmann. Seine Hände stecke in langen blauen Gummihandschuhen. Er stützt sich damit auf zwei Kisten mit Schollen und Butt. Vor ihm steht eine alte Waage mit einem Blechscheffel und Eisengewichten. Oestmann ist der letzte Fischer aus Hamburg, der noch hinaus auf die Nordsee fährt. Und sein Kutter HF 512 ist einer von zweien, die auf dem Hamburger Fischmarkt frisch gefangene Ware von Bord anbieten.

„HF“ steht für Hamburg-Finkenwerder. Der andere kommt aus Cuxhaven. Die Kutter haben an dem Landungsponton hinter der Fischmarkthalle festgemacht und sind anhand ihrer Masten leicht auszumachen. Sie sind der letzte Rest vom ursprünglichen Fischmarkt und der Hamburger Hochseefischerei.

HF 512 ist auf den Namen „Nordstern“ getauft, 15 Meter lang und kann theoretisch zehn Tonnen zuladen – eine Nussschale, nicht größer als die Kutter und Ewer früherer Jahrzehnte, und Oestmann fischt auch noch so wie seine Vorgänger vor 140 Jahren. Die Nordstern schleppt ein von Scherbrettern auf zwölf Meter gespreiztes Netz über Grund, dort wo Schiffe mit größeren Netzen sich schwer tun. „Wenn man nicht platt am Grund fischt, fängt man gar nichts“, sagt Oestmann.

Er muss sich dabei auf sein Gefühl verlassen. „Wir fahren ja noch immer ins Ungewisse.“ Da er nicht nach Schwärmen Ausschau hält, hilft ihm das Echolot nicht. Stattdessen schleppt er sein Netz auf Verdacht fünfeinhalb Stunden an der Kante einer Endmoräne längs. Ist das Netz voll, fischt er die Strecke noch einmal ab. Bei einem Zug erwische er gerade einmal zehn Prozent der Fische, schätzt Oestmann.

Der Fischer und sein Sohn bleiben im Winter auf der Elbe. Nur im Sommer fahren sie bei gutem Wetter hinaus auf die Nordsee. Fünf Tage bleiben sie an Bord, denn allein die Anfahrt zum Fanggebiet dauert 20 Stunden. Samstag morgens von sechs bis neun Uhr verkaufen sie ihren Fang am Rüschkanal in Finkenwerder, Sonntags von 4.30 bis zehn Uhr auf dem Hamburger Fischmarkt. Wenn der Fang sehr gut war, bringen sie zwei Tonnen Fisch und Krebse mit. „Alles, was jünger ist als fünf Tage, gilt als Edelware“, sagt Oestmann. Fünf bis zehn Tage alte Fische werden als A-Ware gehandelt. Insgesamt lassen sich die Fische 14 Tage lang auf Eis frisch halten. Schlechtes Wetter verschlechtere die Qualität, erklärt Oestmann. Dann scheuern die Netze an den Fischen, was den Fang unansehnlich macht.

Heute ist das nicht das Problem. Das Wetter war diese Woche schön, und die Schollen zeigen sich in aller Schönheit: dunkel steingrau sind sie auf der Oberseite, mit wenigen orangefarbenen Punkten gesprenkelt. Sie sind allerdings so klein, dass sie aus ökologischer Sicht besser im Wasser geblieben wären – eine Chance zur Fortpflanzung dürften sie kaum gehabt haben.

„Moin“, sagt Oestmann. „Seh‘ ich Euch mal wieder.“ Es ist das dritte Mai-Wochenende und der Fischer verkauft den ersten Fang der Saison. Der Umgangston zwischen Fischer und Kundschaft ist von einem rauen und trockenen Humor. „Wenn jetzt dein Mann nicht dabei wäre, hätten wir uns erstmal innig umarmt“, sagt Oestmann zu einer Kundin. Er lässt zwei Kilo Schollen in eine Plastiktüte gleiten. „Was, bezahlen muss ich auch noch?“, fragt die Frau.

Ein Mann kauft die Kiste mit den Krebsscheren leer. Oestmann schüttet den Rest Eis ins Wasser. Die Kiste wirft er hinter sich. Das Fleisch der Knieper ist zarter und leichter zu verarbeiten als der Körper des Taschenkrebses. Ganze Krebse kauften meistens Asiaten, sagt Oestmann. Und tatsächlich: einer lässt sich vier solcher Monster-Teile in eine Tüte packen. Sie schmecken bestimmt lecker.