Geheimgänge in der Nabe

Jahrelang stand die Nabenschaltung im Schatten der Kettenvariationen. Mit neuem Übersetzungsumfang, mehr Gängen denn je und alten Qualitäten erobert sie jetzt auch das sportliche Rad. Das geschieht neuerdings auch stufenlos

VON GUNNAR FEHLAU

Nabenschaltung? Da denkt man doch sofort an schwere Tourenräder mit geschwungenen Lenkern und breiten Plastiksätteln. Fahrräder zum Abgewöhnen eben, die statt schneller Fortbewegung einen schmerzenden Hintern versprechen. Und wo „Dreigang“ einmal cool war – an den Bonanzarädern mit ihrem charakteristischen Schaltknüppel auf dem geteilten Oberrohr –, herrschte auch nicht gerade Freude am Fahren.

Der Fahrradzeitgeist besagte lange: Sportler fahren Kettenschaltung, Langweiler Nabenschaltung. Diese allzu einfache Sicht wurde durch den Erfolg des Mountainbikes noch verstärkt. Dabei bot und bietet die Technik von anno dunnemals – erste Patente gab es schon um 1880 – unschlagbare Vorteile: Nabenschaltungen lassen sich im Stand schalten, und sie sind durch die gekapselte Bauweise nahezu verschleißfrei. Auch die Kette hält beinahe ewig, vor allem wenn man sie in einem geschlossenen Kettenkasten versteckt – bei der Kettenschaltung geht das nicht.

Brauchbare Exemplare mit großem Übersetzungsumfang gab es schon vor mehr als zehn Jahren. „Die Zwölfganggetriebenabe ‚Elan‘ mit Drehgriffschaltung, die Sachs 1996 auf den Markt brachte, war nicht ihrer Zeit voraus, sondern den Fahrradherstellern“, so beschreibt Inge Wiebe von der kleinen, aber innovativen Fahrradfirma Utopia das damalige Desinteresse der Großhersteller. Die „Elan“ war die erste Nabenschaltung, die mit ihren Minigängen wirklich bergtauglich war, doch ihr Aufbau machte spezielle Rahmen nötig. Die Massenproduzenten winkten ab, und irgendwann stellte Sachs die Produktion mangels Nachfrage ein.

Als der Ingenieur Bernd Rohloff 1998 eine 14-Gang-Nabenschaltung präsentierte, war die Fahrradbranche schon etwas sensibler geworden. „Die ‚Speedhub‘ war vor allem für den Einsatz am Mountainbike vorgesehen“, erklärt Christian Malik, Produktmanager beim Fahrradhersteller Hai Bike. Doch die Fraktion der Offroader hielt störrisch an der Kettenschaltung fest, angenommen wurde die Hightechschaltung dagegen von den Reiseradlern. Die hatten offensichtlich recht schnell die Vorzüge eines gekapselten, nahezu unzerstörbaren Getriebes im Ölbad erkannt. Und dafür nahmen sie auch ein geringes Mehrgewicht in Kauf. Als erste Fahrradfirma hatte Utopia Räder mit dem Schaltgetriebe im Programm, doch bald waren auch die Mitbewerber schlauer: Um die Jahrtausendwende stellte nahezu jede Fahrradfirma ein Reiserad mit der Hightechnabe vor.

Aus der Premiumnische lässt sich Rohloff nicht mehr verdrängen, die Qualität seiner Nabenschaltung hat sich längst einen legendären Ruf erworben. Doch im Gegensatz zu den Goliaths Sram und Shimano ist sein Unternehmen nach wie vor der David. Und die Großen schalten nicht zurück, vielmehr schlagen sie zurück: Sram und Shimano weiteten ihre Nabenschaltungsprogramme nach und nach aus und haben damit die Masse der Alltags- und Tourenradler im Blick. Inzwischen hat Shimano mit der „Nexus“ eine Achtgangnabe im Programm, Sram, der US-Hersteller, der 1997 das Naben-Urgestein Sachs übernahm, hat gar schon neun Gänge vorzuweisen.

Attraktiv werden Fahrräder mit Acht- oder Neungangnabe nicht zuletzt dadurch, dass sie schon für vergleichsweise wenig Geld zu haben sind. Der Radhersteller Winora etwa bietet sein Modell „Barbados“ mit Sram- Neungangnabe für 699 Euro an, ein Rohloff-Modell kostet 1.300 Euro mehr. Radfahrer, die keine Extremtouren vorhaben, sind mit acht oder neun Gängen zumeist bestens unterwegs. Leichte, sportliche Trekkingbikes mit Nabenschaltung wiegen heute unter 14 Kilo und fahren sich mit ihren steifen, auf Agilität getrimmten Rahmen fast wie Rennräder. „Mit der ‚i-Motion‘-Neungang-Nabenschaltung wollen wir das Schaltprinzip auch in sportlichen Fahrrädern etablieren“, bestätigt Dirk Belling von Sram den Trend zu „Trekking light“.

Und es geht weiter: Neuerdings ist eine stufenlose Nabenschaltung namens „NuVinci“ auf dem Markt, die sich vom Prinzip des Planetengetriebes verabschiedet hat. Bei so viel Innovation könnte es gut möglich sein, dass man die Kettenschaltung irgendwann zwar nicht im Museum, aber nur noch am Rennrad findet.