„Genug Geld ist allemal da!“

Der Markt wird die weltweite Lebensmittelkrise nicht lösen. Wir müssen den Ärmsten helfen, mit moderner Technik mehr Nahrungsmittel zu produzieren, sagt der Ökonom Jeffrey Sachs. So könne die Globalisierung allen nutzen

JEFFREY SACHS, geboren 1954, ist einer der einflussreichsten Ökonomen der USA. Er leitet das Earth Institute an der Columbia University New York und wurde bekannt als UNO-Sonderberater für die weltweite Bekämpfung der Armut. Von ihm erschienen 2005 „Das Ende der Armut“ (Pantheon) und vor kurzem „Wohlstand für alle – Globale Wirtschaftspolitik in Zeiten der ökologischen und sozialen Krise“ (Siedler).

taz: Die Lebensmittelpreise sind weltweit explosionsartig angestiegen, weil die Nachfrage stetig ansteigt und die Produktion von Getreide, Mais und Reis eher zurückgeht. Welche Konsequenzen hat das?

Jeffrey Sachs: Es gibt auf dieser Erde viele extrem arme Menschen, die sehr schwer getroffen werden durch die Preisanstiege. Viele sind bereits heute unterversorgt. Nicht dass sie gar nichts zu essen haben – aber sie nehmen kontinuierlich zu wenig Kalorien zu sich. Und die werden noch ein bisschen weniger bekommen. Diese Menschen fallen dann schnell Krankheiten zum Opfer.

Aber ist das nicht paradoxerweise das Resultat wachsenden globalen Wohlstandes. Jetzt kriegen auch die Chinesen und Inder zwei Mahlzeiten am Tag, wie Angela Merkel sagt?

Ganz falsch ist das nicht, auch wenn man diese Wortmeldung in China und Indien als ziemlich aggressive und anmaßende Aussage aufgenommen hat. Wir im Westen haben mehr als drei Mahlzeiten. Aber der Kern der Aussage ist: Die Nachfrage steigt, und die Produktion kann damit nicht Schritt halten.

Es war also keine gute Idee, Getreide in den Benzintank zu füllen?

Nein, eine sehr schlechte Idee. Die Produktion benötigt so viel Energie – die Düngemittel, der Transport, die Umwandlung in Sprit –, dass die Nettoenergiebilanz nicht sehr gut ist. Wir sollten das stoppen.

Dabei hatten wir gedacht, Biotreibstoff sei eine prima Idee. Damit könne man der Ölknappheit begegnen und auch den Klimawandel bekämpfen. Müssen wir uns eingestehen, dass wir immer, wenn wir ein Problem lösen wollen, ein anderes Problem schaffen?

Ja, in einem gewissen Sinn sind wir in dieser tragischen Situation, weil wir gleichzeitig eine Reihe von Problemen haben: die Bevölkerungsexplosion, die Wasserknappheit, die Lebensmittelknappheit, die Energieknappheit, die steil ansteigende Nachfrage nach Rohöl, die Klimakrise. Die Lage ist wirklich angespannt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass alles, was nach einer Lösung aussieht, ganz gravierende Nebeneffekte hat.

Das klingt sehr deprimierend.

Vergessen wir nicht: Das sind die Früchte des Erfolgs, auch die Früchte des technologischen und ökonomischen Fortschritts. Milliarden Menschen in Asien, aber auch in Lateinamerika haben Anschluss an unseren Wohlstand gefunden. Die Wirtschaft wächst, ein Mittelstand entsteht. Die Globalisierung ist eine Erfolgsstory. Der erste Schritt war, durch den Import von Technologien die schlimmste Armut in weiten Teilen Chinas auszurotten. Das ist jetzt geschafft.

Aber verkraftet es die Welt, wenn wir einfach die vorhandenen Technologien über den gesamten Globus verbreiten?

Nein. Deshalb plädiere ich so dafür, dass wir uns über den Technologiewandel Gedanken machen müssen. Gleichzeitig müssen wir jene Regionen über die erste Schwelle bringen, die das noch nicht geschafft haben – weite Teile Afrikas vor allem.

In Ihrem neuen Buch präsentieren Sie praktische Lösungen für jedes Problem der Welt, so auch für die Lebensmittelkrise.

Zunächst: Es gibt einen Notfall. Wir müssen den verwundbarsten Menschen Notfallhilfe zukommen lassen. Längerfristig müssen wir die Produktion in den ärmsten Regionen der Welt ankurbeln. Das betrifft die afrikanischen Länder, aber auch Haiti oder manche Staaten Asiens. Viele dieser Länder haben eine Landwirtschaft, die gerade einmal ein Drittel von dem produziert, was man mit zeitgemäßen Methoden erreichen könnte. Das Problem ist, dass die armen Bauern keinen Zugang zu Finanzmitteln haben, um ihre Produktivität zu steigern. Ihnen fehlt gutes Saatgut, sie können sich keine Düngemittel leisten. Man muss ihnen Zugang zu Krediten geben, dann können sie ihre Produktion verdoppeln und verdreifachen.

Sie sprechen von sieben Milliarden Euro, die dafür nötig wären.

Ja, ich plädiere für einen Fonds, in den die reichen Länder einzahlen.

Gute Idee, aber das werden sie nicht tun.

Ich kann das nicht mehr hören, dass das Geld nicht da ist, dass die reichen Länder nichts hergeben wollen. Das ist nicht viel Geld! Ich rede gerade mit vielen Regierungen. Auch die reichen Ölstaaten des Nahen Ostens können einzahlen.

Warum soll eine solch einfache Lösung eigentlich funktionieren?

Es gibt sehr ermunternde Beispiele. Nehmen wir nur Malawi. Dort hat der Präsident vor drei Jahren, mitten in einer schweren Lebensmittelkrise, gesagt: Genug. Wir müssen die Produktion ankurbeln! Daraufhin wurde ein sehr simples Vouchersystem eingeführt. Die Bauern erhielten im ersten Jahr zwei Sack Düngemittel und im zweiten Jahr besseres Saatgut. Innerhalb eines Jahres hat sich der Output verdoppelt. Und im Folgejahr noch einmal. Verdoppelung und Verdreifachung der Nahrungsmittelproduktion in ein, zwei Jahren ist möglich.

So leicht kann man die Versorgungskrise lösen?

Längerfristig müssen wir schon auch unsere Ernährungsgewohnheiten ändern.

Soll heißen: Weniger Fleisch essen?

Weniger Fleisch essen, ja, das ist ja auch gesünder. Es ist einfach vom ökologischen Gesichtspunkt und vom dem der Energieeffizienz ein Problem, wenn wir viel Fleisch essen. Simpel gesprochen: Von dem Getreide, dass ein Rind frisst, werden viel, viel mehr Menschen satt als von dem Fleisch des Rindes.

Aber wir leben in einer globalen Marktwirtschaft. Wollen Sie dem Konsumenten vorschreiben, was gut für ihn ist?

Ach, in der Landwirtschaft haben wir doch keine freie Marktwirtschaft. Bis das Essen auf unseren Tisch kommt, wurde hundertmal steuernd in den Markt eingegriffen. Und es ist doch überhaupt nichts dagegen zu sagen, wenn wir unser Verhalten ändern, weil neue Probleme auftauchten.

Eines ihrer Schlüsselworte ist Technologie. Das andere ist Kooperation – globale Kooperation. Aber ist das realistisch? Wir leben im Zeitalter des Unilateralismus, des Kampfes der Kulturen und der Rivalität um knappe Ressourcen. Nicht die beste Zeit für ein kooperatives Ethos.

Eine miserable Zeit, vor allem in den vergangenen Jahren. Nur war die politische Führung der USA auch besonders mies. Wir waren einfach auf einem falschen Kurs – und 81 Prozent der Amerikaner sehen das mittlerweile auch so. Es ist also ein Neuanfang möglich. Und vergessen wir nicht: Es sind vor allem die großen Staaten, die sich in ihrer Großmachtillusion gegen Kooperation stemmen. Die vielen kleineren Staaten wissen längst, dass sie, auf sich allein gestellt, kaum etwas zuwege bringen können. Sie sind alle für Zusammenarbeit.

Also, die Stimmung hat sich nachhaltig verändert?

Ja. Die großen Themen sind in den letzten Jahren die Klimakrise, die Energiekrise und jetzt die Nahrungsmittelkrise. Kein Mensch, der bei Trost ist, kann heute noch leugnen, dass wir vor sehr ernsten Problemen stehen. Und jeder weiß, wir können diese Probleme nicht durch unilaterale Kraftmeierei lösen. Der Markt wird sie auch nicht lösen. Also braucht es eine globale, gemeinsame Anstrengung.

INTERVIEW: ROBERT MISIK