Braunschweig im Rausch

Am letzten Spieltag macht Eintracht Braunschweig mit einem 2 : 0 gegen Dortmund II die Teilnahme an der neuen Dritten Liga perfekt. Kräftig mitgeholfen hat das letzte Aufgebot des VfB Lübeck

War am Ende doch alles umsonst? Eintracht Braunschweig fehlen 250.000 Euro für die Lizenz für die neue 3. Liga. Die Finanzlücke muss bis Mittwoch geschlossen werden. Das teilte die Stadt Braunschweig mit. Oberbürgermeister Gert Hoffmann (CDU) hat für diesen Montag einen „Krisengipfel“ im Rathaus angesetzt. An dem Gespräch sollen neben Eintracht-Präsident Sebastian Ebel Vertreter von fünf Unternehmen teilnehmen, die Interesse an dem Stadionnamen haben. Auch der Verwaltungsausschuss der Stadt wird sich am Dienstag mit der Thematik beschäftigen.  dpa

AUS BRAUNSCHWEIG ROGER REPPLINGER

Das ist so ein Spiel, zu dem sich die Fans an Krücken ins Stadion schleppen. Zu dem sie das verwaschene Trikot anziehen. Vor dem Spiel haben sie wieder das gemacht, was sie auch damals gemacht hatten, als es gerade noch mal gut gegangen war. Einer trägt ein Hemd, auf dem steht nur „1967“. Da war Eintracht Braunschweig Deutscher Meister: Bäse, Gerwien, Moll, Ulsaß, Wolter. Heute geht es um das Ticket für die neue Dritte Liga.

Die Chancen sind mau. Braunschweig ist Elfter, muss Zehnter werden, hat 50 Punkte, wie Magdeburg. Die Eintracht muss an Rot-Weiß Essen oder Kickers Emden vorbei. Essen, 51 Punkte, darf zu Hause nicht gegen die Rumpftruppe des insolventen VfB Lübeck gewinnen. Oder Kickers Emden, 53 Punkte, müssten gegen die Zweite des VfL Wolfsburg verlieren. Die sind Tabellenletzter und das Verhältnis zwischen Wolfsburg und Braunschweig ist komplex. In Wolfsburg verstehen sie die Liebe nicht, die der Eintracht, einem der Sorgenkinder des deutschen Fußballs, geschenkt wird. Der Eintracht-Fan klebt sich einen Bart an, wenn er nach Wolfsburg fährt, um Erste Liga zu sehen. Damit ihn der ebenfalls verkleidete Kumpel nicht erkennt. Schlechte Aussichten für die Eintracht.

In der Zweitliga-Saison 2006 / 07 verschliss die Eintracht fünf Trainer, abgestiegen ist sie trotzdem. In dieser warf Benno Möhlmann drei Wochen vor Schluss die Brocken hin. Für ihn soll nun der 34-jährige A-Jugend-Trainer Torsten Lieberknecht den nächsten Abstieg verhindern.

Das Spiel beginnt in brütender Hitze, die Eintracht-Spieler sind höllisch nervös. Im Sturm Dominick Kumbela und Tim Danneberg: Kumbela ist ein Kleiner. Wendig und geschickt, gut am Ball. Danneberg ist ein Schlaks, groß und hölzern. Kommen Flanken, dann hoch, und immer auf Kumbela. Die Fans haben Geduld, die Spieler auch. Ex-Nationalspieler Lars Ricken dirigiert die jungen Dortmunder, gute Fußballer, körperlich sind sie unterlegen. Nach 45 Minuten steht es 0 : 0. Die Fans kneten ihre Handys, manche haben einen Stöpsel im Ohr, in den relevanten Stadien sitzen Gewährsleute, die anrufen, wenn was passiert. Überall 0 : 0. Nur Magdeburg führt in Wuppertal.

Je länger das Spiel dauert, desto mehr wird es eine Sache von Dominick Kumbela aus Kinshasa (Kongo). In der 58. Minute bekommt er den Ball im Strafraum, Dortmunds Innenverteidiger Njambe reißt ihn um, Schiedsrichter Peter Sippel zeigt auf den Punkt. Viele Zuschauer wollen nicht sehen, was nun passiert. Valentin Nastase, 33 Jahre alt, Innenverteidiger, richtet erst den Ball und dann seine Haare, fünf Schritte zurück, fünf vor, rechts flach – Tor (59.).

Die Zuschauer verlieren die Fassung, die Spieler den Faden. Dortmunds Großkreutz hat eine Großchance, doch die Braunschweiger werfen sich auf Ball und Mann. „Dann wurde Braunschweigs Druck immer größer“, sagte Dortmunds Trainer Theo Schneider hinterher. Kurz vor 15 Uhr. Jubel im Eintracht-Fanblock. „Lübeck, Lübeck“-Sprechchöre, Lübeck hat in Essen getroffen. Die Chance ist da.

Eine Flanke von Brinkmann köpft Dortmunds Tyrala vor Kumbelas Füße. Der Schuss misslingt ihm, aber er sitzt – 2 : 0 (83.). Eine Spielertraube auf dem Kongolesen, mittendrin der Trainer. Lübeck führt. Es wird noch gespielt, aber es herrscht eine unerklärliche Gewissheit im Stadion, dass es reicht.

Das Spiel ist aus. Warten auf den Abpfiff in Essen. Die Spieler umarmen sich, das Stadion singt „So ein Tag“, Tränen. Aus in und für Essen. Braunschweig ist in Liga Drei. Die Anhänger stürmen den Rasen. Spieler werden geküsst, das Gras, das nun nicht mehr grün, sondern gelb vor Fans ist, auch.

Torsten Lieberknechts Stimme zittert, als er „alle Mannschaften lobt, die heute in Spielen standen, in denen es noch um was ging. Alle haben anständig gespielt. Dickes Lob an Lübeck.“ Lieberknecht ringt um Fassung: „Die vierte Liga wäre knüppelhart gewesen.“ Ob am Sonntag die Planung für die neue Saison beginnt? „Nein“, sagt er, „morgen ist der Rausch so groß, da käme nur Blödsinn raus.“