Schüttel dein Haar

Eine Zeitreise in vergangene Genres: Die Oh Sees und Black Mountain im schwülen Festsaal Kreuzberg

Die Oh Sees sind eine vierköpfige Band aus San Francisco, die Rock ’n’ Roll mit schön viel Hall auf der Gitarre macht. Mit stumpfem Schlagzeug und Doppelgesang ergibt das Neo-Trash. Fans dieses Genres werden auch die Oh Sees lieben, denn ihre Songs sind meistens sehr gut, ihr Auftritt sympathisch, immer mit Attitüde. Besonders Sänger John Dwyer war zu allerlei Spökes aufgelegt. Mikro verschluckt, Bierflasche mit dem Mund aufgehoben, all das. Dazu gab es eine lässige Brigid Dawson als zweite Stimme, einen Bassisten, der auf einer E-Gitarre spielte und einen Linkshänder-Schlagzeuger in kurzen Hosen. Ihr tollstes Stück heißt „Ghost in the Trees“ und ist irgendwo frei herunterladbar.

Leute, die nichts mit Garagenmüllmusik anfangen können, dürfen die Oh Sees aber auch weiterhin übersehen. Das ist das Problem mit Genrebands, musikalisch Relevantes passiert meistens nicht. Ein Problem, das prinzipiell auch Black Mountain, Hauptband dieses schwülen Samstagabends im nicht ausverkauften Festsaal Kreuzberg, hat. Black Mountain machen tief aus den frühen 70ern schöpfende Rockmusik, die man einst progressiv nannte. Das Tempo war gleich zu Beginn um gefühlte 100 BPM langsamer als bei den Oh Sees, und der Zeitsprung deutlicher auf eine Periode der Musikgeschichte ausgerichtet.

Black Mountain, deren zweite Platte „In the Future“ Anfang des Jahres erschien, bedienen sich bei den üblichen Vorbildern ihres Genres, schaffen es aber, nicht bloß wie eine Kopie von irgendwas zu klingen. Es ist die Mischung, die diese Retroband von einer Revivalband unterscheidet: Sie nehmen sowohl Elemente von Deep Purple wie auch von Jefferson Airplane, sie erinnern mal an X-Tal, die auch schon an irgendwas erinnerten, oder gleich an Crosby, Stills, Nash & Young. Black Mountain bringen diese Musiken auf den Punkt, sie greifen sich die wirkungsvollsten Elemente aus den Vorbilderkisten heraus. Ein verdammt guter Groove, ein prächtiger Orgellauf wie in „Angels“, oder ein schönes Gebretter wie in der Single „Bastards of Light“. Dazu wirkte der Charme des Wechselgesangs zwischen McBean und Webber. Während Gitarrist und Sänger Stephen McBean ausdruckslos ins Publikum blickte, konnte ausgerechnet ihr ziegenhafter Gesang gefallen. Aber irgendwann reichte es. Die Nacht draußen lockte, die Luft im Festsaal hingegen stand wie der Orgelton in der Zugabe.

RENÉ HAMANN