Frechheit siegt

Der Lette Ernests Gulbis und der Serbe Novak Djokovic treffen im Viertelfinale der French Open aufeinander – sie kennen sich gut

PARIS taz ■ Auf den ersten wie auf den zweiten Blick macht Ernests Gulbis, 19, aus dem Seebad Jurmala in Lettland stammend, den Eindruck, als habe man es bei ihm mit einem stillen, gebildeten, gut erzogenen jungen Menschen zu tun. Er spricht diverse Sprachen – Lettisch, Russisch, Englisch und ein wenig Deutsch –, seine Umgangsformen lassen nichts zu wünschen übrig, und in seinen Worten schwingt bisweilen eine gewisse Sanftmut mit. Könnte man sich vorstellen, dass er wie der gut ein Jahr ältere Novak Djokovic Kollegen parodiert oder in einem String-Tanga und Stöckelschuhen über eine Bühne stolziert? Eher nicht.

Darüber kann Novak Djokovic, der Dienstag im Viertelfinale der French Open gegen Gulbis spielen wird, nur lachen. „Da sollten Sie sich nicht so sicher sein“, sagt er. „Ich glaube, ich kenne ihn besser.“ Beide verbrachten ungefähr drei Jahre lang die Stunden vieler Tage miteinander, als sie Schüler in der Tennisakademie des früheren deutschen Davis-Cup-Coaches Niki Pilic in Oberschleißheim vor den Toren Münchens waren. Der Serbe Djokovic war mit 12 Jahren gekommen und blieb, bis er fast 16 war, der Lette Gulbis kam ein Jahr später und blieb bis Ende vergangenen Jahres.

Von beiden hieß es von Anfang an, sie seien ungewöhnlich talentiert, und Djokovic bestätigte alle Prognosen. Er ist seit Juli 2007 die Nummer drei der Welt, gewann vor ein paar Monaten bei den Australian Open den ersten Grand-Slam-Titel seiner Karriere, und in nicht viel mehr als einem Jahr hat er sich als Herausforderer von Federer und Nadal etabliert.

Gulbis weiß, warum das so schnell gegangen ist. „Dieses Top-Niveau hatte er immer im Blick“, sagt er. „Er hat im gleichen Alter viel ernsthafter gearbeitet als ich. Ich war eher so drauf: Okay, ich geh jetzt mal trainieren; er hat sich immer richtig reingehängt.“ Natürlich haben sie bei Pilic gegeneinander gespielt. Wie das aussah? Djokovic grinst und sagt: „Im Training hat er mich vom Platz geschossen. Ich hab es nicht geschafft, ein Match zu gewinnen. Keine Chance.“ Das kann man glauben, muss man aber nicht. Oder man fragt Niki Pilic, der in München gerade von einer Trainingseinheit mit Novaks mittlerem Bruder, dem 16 Jahre alten Marko, kommt.

„Auf Teppichboden hat er schon ein paarmal verloren, weil Ernests einen sehr starken Aufschlag hat“, sagt Pilic. „Aber Novak war immer der bessere Spieler. Als er 14 war, wusste ich, wie gut er mal wird. Er hatte eine viel stärkere Psyche als Ernests. Der war eher wie ein Künstler.“ Dass sich die Wege von Pilic und Gulbis Ende 2007 trennten, hatte auch damit zu tun, dass Pilic fand, die Seriosität seines Schülers bei der Arbeit lasse immer zu wünschen übrig.

Der trainiert inzwischen mit dem Österreicher Karl-Heinz Wetter, aber ein enger Kontakt zu Pilic besteht nach wie vor. Der schaffte als Coach das Kunststück, dreimal mit deutschen Teams den Davis Cup zu gewinnen und einmal mit dem kroatischen. Inzwischen ist er Chef der serbischen Mannschaft um Djokovic. Dass nun zwei seiner ehemaligen Schüler im Pariser Viertelfinale gegeneinander spielen macht ihn, wie er sagt, sehr stolz.

Bei den US Open im vergangenen Jahr war Gulbis bereits im Achtelfinale gelandet, diesmal ist er noch einen Schritt weiter gekommen. Auf Hartplätzen hatte er sich mit seinem mächtigen Aufschlag und der knalligen Vorhand leichter getan als auf Sand, wo Taktik und Geduld eine größere Rolle spielen. Geduld, sagt Gulbis, sei prinzipiell eher nicht sein Ding. Aber nachdem er sich zuvor drei Wochen lang intensiv auf diesem Boden vorbereitet, auf einen Start bei den Turnieren in Rom und Hamburg verzichtet hatte, zeichnet er nun auch im Stade Roland Garros eindrucksvolle Spuren in den Sand.

DORIS HENKEL