ortstermin: Die performer gob squad filmen auf der hamburger Mönckebergstraße
: Übersehene Superhelden

Sie tragen lange, grüne, schillernde Umhänge, darunter knallige T-Shirts, in Gelb und Türkis. Eigentlich sehen sie aus, als wären sie geradewegs einem schlechten Superhelden-Comic entsprungen. Und trotzdem lässt es sich nicht übersehen, ja, es fällt schon auf, wie wenig die Performer von der Gruppe Gob Squad mitten auf der Hamburger Mönckebergstraße eigentlich auffallen.

Die Passanten rennen an ihnen vorbei, blicken sie nicht mal an, und sehen auch den Bretterverschlag mit den Videokameras nicht. Oder doch, sie sehen ihn schon, nehmen ihn aber nicht wahr. Die ganze Szene, die Superhelden, der Bretterverschlag, erscheint den Vorübergehenden als Störbild, das für Momente auf der Netzhaut flackert, und das man drei Schritte weiter vergessen hat wie ein weggeklicktes Pop-Up. Da ergeht es der Gruppe nicht anders als ein paar Meter weiter einem Mann, der ganz in Silber – der Anzug, die Melone, der Stock und silbern auch das Oberlippenbärtchen – auf einem Sockel steht, und nun von den Passanten just so übersehen wird, als wäre er tatsächlich jenes Denkmal, dass er doch nur darstellt.

Auf der großen Einkaufstraße in der Hamburger Innenstadt wollen Gob Squad 24 Stunden lang filmen. „Saving the world“ heißt das Projekt, mit dem die sechsköpfige Gruppe anhand eines Mikrokosmos die großen globalen Zusammenhänge von heute, das bunte Durcheinander erklären und dokumentieren möchten. Ein Alltagspanorama, und, wie schon immer bei Gob Squad, der Versuch, mit Interventionen in den öffentlichen Raum den alten Gegensatz zwischen Kunst und Leben aufzuheben – ob die tragische Chaplin-Statue die Straße runter Selbes leistet, wäre eigentlich eine Überlegung wert.

„Ah, hier kommt George Bush, er ist gerade auf dem Weg ins Weiße Haus“, kommentiert einer der Performer, der sich mit einem Mikrophon bewaffnet an die Fersen eines Vorübereilenden heftet. „Herr Bush, was sagen Sie zu…“ Aber der Mann mit dem starren Blick und den bügelsteifen Hosen will gar nichts sagen, das sagt jeder einzelne Muskel in seinem Gesicht. Manchmal haben die Performer mehr Glück. Ein paar Schulmädchen lassen sich überreden, im Halbkreis um die Kameras Stellung zu nehmen. Sie bekommen ein Eis in die Hand gedrückt. Eine Frau im Zaubererkostüm tritt hervor. Mit dem Zauberstab gibt sie das Signal für die Kameras. Und wie die zu laufen beginnen, beginnen sich die Gesichter der Mädchen zu verklären. Glanz kommt in ihre Augen und sie lächeln plötzlich so verführerisch als wollten sie mit Schmelz in der Stimme hauchen: „Es geht immer“ – oder wie heißt es doch gleich in der Langnesewerbung?

Ins Fernsehen kämen auch gern zwei Männer, die zielgenau auf die Kameras zusteuern. Als sie hören, die Aufnahmen dienten nur einer Theaterproduktion, die nächste Woche auf Kampnagel zu sehen sein wird und es auch nichts weiter zu gewinnen gebe, heißt es lapidar: „Wir kommen vielleicht nachher mal vorbei.“

Pech gehabt, denn die beiden verpassen nun ein großes „Ringel-Ringel-Reihe.“ Angefasst und los, immer schön im Kreis. Ja, sage ich mir, wie schön, dass sich die Welt dreht. Weniger schön sind nur die Schweißhände, die man hiernieden drückt. Und da weiß ich plötzlich sehr genau, dass die Welt sich auch gut ohne mich weiterdrehen kann. MAXIMILIAN PROBST