heute in bremen
: „Das Ruder noch herum reißen“

Raymonde Decker erläutert zum letzten Mal den römischen Luxus samt seiner Folgen

taz: Frau Decker, Sie haben 2.500 Menschen durch die am Sonntag endende Sonderschau des Focke-Museums geführt. Warum interessieren sich so viele Menschen für „Luxus und Dekadenz“?

Raymonde Decker, Archäologin: Einerseits gibt es die ästhetische und technische Faszination angesichts der beeindruckenden Exponate – etwa der ältesten Badewanne der Welt, die bereits vor 2.000 Jahren mit Kessel und Mischbatterie ausgestattet war. Auf der anderen Seite kommt sehr schnell die Frage auf, auf wessen Kosten all dieser Luxus möglich war. Wenn man bedenkt, dass unter den 80 Millionen Einwohnern, die das Römische Reich im ersten Jahrhundert nach Christi Geburt hatte, nur 300 superreiche Familien waren, wird die soziale Schieflage schnell klar.

Das hat die BesucherInnen genauso interessiert wie die Pracht?

Aber ja. Wir sind zwar keine Sklavenhaltergesellschaft wie die römische, aber die soziale Entwicklung ist heutzutage ähnlich: Die Mittelschicht bröckelt, dafür gibt es immer mehr sehr Reiche und sehr Arme. Wir können das Ruder ja vielleicht noch herum reißen, aber das Römische Reich ist daran zerbrochen.

Haben wir Germanen da nicht auch eine Rolle gespielt?

Natürlich spielte auch der Einfall verschiedener Völker eine Rolle. Wobei die Germanen zunächst mal einen gewissen Haarhandel mit dem Römischen Reich betrieben: Die RömerInnen waren sehr an blonden Perücken interessiert.

Welche Fragen haben speziell Kinder und Jugendliche zum Thema Dekadenz?

Es ist natürlich schwierig, diesen Begriff zu erklären. Aber anhand der Moränen, deren Schwanzflossen mit kostbaren Ohrringen geziert wurden, wird das Wesen der Dekadenz dann doch recht schnell klar. Ich verweise dann auch immer auf die Diamantcolliers heutiger Schoßhunde.

Die aktuelle Devise großer Teile der Bevölkerung ja eher „arm, aber sexy“.

Ich habe sehr oft mitgekriegt, dass die Besucher angesichts des Luxus, etwa im Themenbereich Essen und Trinken, eher abgestoßen waren – selbst wenn die Exponate sehr schön sind. Aber auch damals wurde der exzessive Reichtum schon scharf kritisiert.

Fragen: Henning Bleyl

Die letzte Führung mit Raymonde Decker: Samstag, 15 Uhr im Focke-Museum (keine Anmeldung erforderlich)