Hamburger Schule trifft den Bundesadler

Am Donnerstag lasen im Festsaal Kreuzberg zehn Autoren Texte über Fußball. Dabei überzeugten diejenigen, in denen es eher am Rande um Fußball ging, etwa die „Top 500 der Dinge, die besser sind als Fußballgucken“

Bekanntermaßen ist Peter Handke kein Deutscher, sondern Österreicher. Und „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ handelt auch nicht vom Fußball, sondern von einem Monteur, der eine Frau erwürgt hat. Während in England mit Nick Hornby und in Spanien mit Javier Marias zwei berühmte Autoren oft und gerne über ihre Lieblingsmannschaften fabulieren, wollen hierzulande, so scheint es zumindest, Fußball und Literatur nicht so recht zueinander finden.

Dass dem nicht so ist, wollten am Donnerstagabend – zwei Tage vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft – zehn Autoren aus dem Lesebühnen-Umfeld unter dem Motto „Fußballtexte 08“ unter Beweis stellen.

Vermutlich war es dem schönen Wetter geschuldet, dass der Festsaal Kreuzberg nur halb gefüllt war. Dafür zeigte sich das Publikum umso motivierter, als es vom Moderator des Abends, Markim Pause, aufgefordert wurde, ihm erst ein „h“, dann ein „a“ zu geben, was schließlich in einem laut herausgebrüllten „hallo“ kulminierte.

Als Erstes trug Christian Wolter – kurz geschorener Schädel, Brille, Hansa-Rostock-Trikot – einen recht wirren Text über ein Hansaspiel vor, in dessen Verlauf er Wörter wie „Youngster“ und „Brause“ verwendete. Andreas Gläser, der im Unterhemd die Bühne betrat, nahm eine Reise zu einem Auswärtsspiel seines Lieblingsclubs BFC Dynamo zum Anlass, um Anekdoten aus seiner Jugend Revue passieren zu lassen. Frank Kloetgen stimmte ein humoriges Gedicht über ein Regionalligaspiel zwischen Rot-Weiß Essen und Lübeck an, das anscheinend 0:1 endete, weshalb Rot-Weiß – who cares? – den Aufstieg in die dritte Liga verpasste.

Mögen Ereignisse wie der erste Besuch eines Fußballspiels oder die Niederlage des Lieblingsvereins für denjenigen, dem solches widerfahren ist, Züge großer, mythischer Schlachten aufweisen: Für den Zuhörer sind derartige Schilderungen, selbst in alkoholisiertem Zustand, gelinde gesagt banal. Vor allem, weil der Jungmännerhumor, der den meisten dieser Geschichtchen anhaftete, selten das Niveau einer Comedy-Show im Privatfernsehen übertraf. So war es nur folgerichtig, dass vor allem jene Texte überzeugen konnten, die eher peripher mit Fußball zu tun hatten. Wie der von Ahne, der mit gewohnt monotoner Stimme und Berliner Akzent eine Geschichte vortrug. Sie setzte mit Beobachtungen einer neuen Generation von Fußballfans ein – „Die Hamburger Schule trifft den Bundesadler“ –, um dann abzudriften, bis sie schließlich mit einem Brief der BfA an den Erzähler endete: „Ich habe bei mir aufgeräumt und die Vergangenheit entsorgt.“

Höhepunkt des Abends war der Auftritt von Uli Hannemann. Er nahm in seiner Performance ein Diktum von Otto Schily aus dem Jahr 2004, in dem der damalige Innenminister mehr „südländisches Naturell“ von seinen Landsleuten einforderte, zum Anlass, sich in die Existenz eines südeuropäischen Taxifahrers hineinzuimaginieren. Eine surreale Vision voller absurder Wendungen: „Zeternd erkläre ich meinem Fahrgast die Stadt. Wunderbare Stadt, mein Freund, wunderbares Land, alles wunderbar. […] Durch das offene Dach wehen unablässig Sambaklänge herein und Kindergeschrei.“ Ihr Ziel, das Olympiastadion, werden Fahrer und Fahrgast nie erreichen. Es kam sogar noch ein ausgewiesener Fußballhasser zum Zug: Volker Strübing. Über seine „Top 500 der Dinge, die besser sind als Fußballgucken“ schüttete sich das Publikum hysterisch aus.

Trotz einiger Höhepunkte war es jedoch ein insgesamt eher lauer Abend, den wir – so verlangt es schon der Sportsgeist – dennoch versöhnlich mit einem Fußball-Zitat des großen Robert Gernhardt ausklingen lassen wollen: „Ball, sei verflucht! / Verflucht sei, der dich schlug! / Verflucht das Weib, das in dem Leib dich trug! / Verflucht der Mann, der dich gezeugt! / Verflucht das Kind, das dich gesäugt!“

ANDREAS RESCH