„Fontänen aus Schweiß und Blut“

Vor 40 Jahren erschütterte der Tod des Boxers Jupp Elze die deutsche Sportwelt. Er gilt als erster deutscher Doping-Toter der Neuzeit. Der Ahrensburger Journalist Rolf Kunkel übertrug das Drama als Radioreporter in die Wohnzimmer

Rolf Kunkel wurde 1940 in Bremen geboren. Er arbeitete beim WDR, Stern und Spiegel. Heute lebt er als Autor in Ahrensburg.

Herr Kunkel, wie sind Sie Anfang der 60er Jahre überhaupt zum Radio gekommen?

Rolf Kunkel: Ich bin in Bremen in der Nähe des Hafens geboren. Als ich sechzehn war, bin ich zu Herbert Zimmermann in den NDR gegangen und habe eine Probereportage gemacht. Er hat mich zwar ermutigt, sagte aber, dass er keinen 16-Jährigen einstellen kann. Dann bin ich erst mal zur See gefahren. Mit 22 konnte ich endlich loslegen.

Wann haben Sie erfahren, dass Sie den Europameisterschaftskampf zwischen Jupp Elze und Carlos Duran kommentieren sollten?

Erst am Morgen des Kampfes. Ich war damals stellvertretender Abteilungsleiter Sport beim WDR und mein Chef Kurt Brumme, der eigentlich für das Radio kommentieren sollte, musste kurzfristig für das Fernsehen einspringen. Ich hatte noch niemals vorher einen Boxkampf übertragen.

Welchen Stellenwert hatte das Boxen damals?

Einen sehr großen. Boxen war noch der Sport der Arbeiter und der Kumpels. Deutschland hatte ja eine große Boxtradition, wenn Sie nur an Max Schmeling und Hein ten Hoff denken.

Gehörte Jupp Elze auch zu den Idolen der Zeit?

Noch nicht. Dazu fehlten ihm nur ein paar Sekunden. Er lag in der letzten Runde nach Meinung vieler Punktrichter vorn. Er hatte lange auf diesen Augenblick hingearbeitet. Er war immer der Underdog gewesen und dieser Abend sollte den Durchbruch bringen. Deswegen ist es auch zu so einer Ringschlacht gekommen, wie Sie es heute im Boxsport nicht mehr erleben. Es war ein offener Schlagabtausch von zwei gleich starken Boxern.

Ich zitiere mal einen Satz aus Ihrer Reportage: „Ein Blutspritzer ist uns aufs Programmheft getröpfelt, hier vor 5.000 in der Kölner Messesporthalle, beide im Clinch, beide werden wieder auseinander gedrückt, oh, jetzt blutet Jupp Elze allerdings böse an der Nase.“

Nicht nur das Programmheft kriegte Blut ab. Meine Frau kann sich daran erinnern, dass sie mein Hemd am nächsten morgen in die Reinigung bringen musste. Wir Rundfunkreporter waren ja damals die eigentlichen Stars, wir saßen fast im Ring drin. Wir haben ganze Fontänen aus Schweiß und Blut abbekommen. Der Kampf war von einer ungeheuren Intensität, wie ich sie noch nie erlebt hatte. In den Pausen haben wir ins Funkhaus zurückgegeben, um mal ein bisschen durchatmen zu können. Dann guckten wir Reporter uns an und fragten uns, warum nie

mand den Kampf abbricht.

Allein bei Elze wurden 150 Kopftreffer gezählt. Bei der späteren Obduktion wurde festgestellt, dass er ohne das Aufputschmittel Pervitin schon viel früher hätte aufgeben müssen. Kam ihnen während des Kampfes schon etwas merkwürdig vor?

Wir wussten ja, dass beide Boxer gute Nehmerqualitäten hatten und viel einstecken konnten. Deshalb hat wohl niemand das Handtuch geworfen und ist kein Arzt in den Ring gestürmt.

Wann haben Sie denn registriert, dass etwas Tragisches passiert ist?

Eigentlich sofort, als er in seiner

Ringecke zusammensackte. In der Nacht habe ich kein Auge zubekommen und jede Stunde die Nachrichten eingeschaltet, um die Bulletins aus dem Krankenhaus zu hören. Ich habe jeden Augenblick damit gerechnet, dass sein Tod gemeldet wird. Er lag dann aber noch acht Tage im Koma.

Können Sie sich an die Reaktion der Öffentlichkeit erinnern?

Das war natürlich das große Thema in der Sportpresse. Es gab wochenlange Diskussionen über Sinn und Unsinn des Boxsports. So etwas kannte man ja nur bei schlecht trainierten Amateurboxern in drittklassigen Events, aber doch nicht in einem Europameisterschaftskampf mit den beiden fittesten Boxern, die es zu der Zeit gab. Der Tod von Elze hat sicher dazu beigetragen, dass das Boxen danach in ein negatives Schlaglicht geraten ist. Das ging bis zur Gleichsetzung mit Mord.

INTERVIEW: RALF LORENZEN