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Archiv-Artikel

Kein Gras mehr in 100 Jahren

Der Flächenfraß vernichtet die letzten Oasen. Im nächsten Jahrhundert besteht die Stadt nur noch aus Elbe, Alster, Hafen, Häusern und Straßen, warnt der Zukunftsrat und fordert, Kleingärten zu bebauen

DER ZUKUNFTSRAT

Der Zukunftsrat Hamburg ist seit 1996 das Netzwerk für nachhaltige Entwicklung in der Hansestadt. In der offenen Plattform sind mehr als 100 Institutionen, Vereine und Unternehmen vertreten – vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) über Hagenbecks Tierpark bis zur Drogeriekette Budnikowski oder auch der Handwerkskammer. Dem Zukunftsrat geht es darum, Hamburg so zu entwickeln, dass künftige Generationen nicht schlechter leben können als die heutige. Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft sollen gleichermaßen verbessert und entwickelt werden.  SMV

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Im nächsten Jahrhundert wächst in Hamburg kein Gras mehr. Der derzeitige Flächenfraß in der Stadt würde „in etwa 100 Jahren auch die letzten Agrar- und Naturflächen verzehrt haben“, warnte am Montag der Zukunftsrat Hamburg. Wenn nicht von der Politik massiv gegengesteuert würde, bestünde die Stadt dann nur noch aus „Elbe, Alster, Hafen, Straßen und Gebäuden“, prophezeite Jochen Menzel, Sprecher des Zukunftsrates, bei der Vorstellung einer Studie über den Flächenverbrauch in Hamburg.

Nach dieser Untersuchung hat Hamburg zwischen 2002 und 2007 jährlich eine Fläche von 283 Hektar versiegelt. Das entspricht etwa der doppelten Größe der Außenalster – Jahr für Jahr. Würde der Verbrauch von Flächen für Gebäude und Straßen so weitergehen, werde es an der Schwelle zum nächsten Jahrhundert keine einzige grüne Fläche mehr in der gesamten Stadt geben, warnte Menzel.

Vordringlich sei deshalb aus Sicht des Zukunftsrates, Konversionsflächen zu nutzen, Baulücken zu schließen und das Flächenrecycling zu intensivieren. „Wir müssen den Verbrauch von Flächen massiv reduzieren und das nachhaltige Flächenmanagement verstärken“, forderte Menzel. In diesem Sinne gebe es im schwarz-grünen Koalitionsvertrag „richtige und begrüßenswerte Ansätze“, räumte er ein. Insoweit seien Studie und Kritik des Zukunftsrates durchaus als „Ermunterung“ zu verstehen, diesen auch umzusetzen.

In der Stadt stehen nach behördlichen Angaben etwa 730 Hektar Konversions- und Recyclingflächen theoretisch für neue Nutzungen zur Verfügung. Dies sind zumeist nicht mehr genutzte Areale von Bahn, Post, Bundeswehr und Industrie. Die größte, das Gleisdreieck nördlich des Bahnhofs Altona, würde aber erst nach Verlagerung des Fernbahnhofs an den Diebsteich genutzt werden können.

Geplant sind hingegen bereits 450 bis 600 „Wohneinheiten“ auf dem Gelände der ehemaligen Röttiger-Kaserne in Neugraben-Fischbek. Vor allem Einfamilienhäuser „für Normalverdiener“, kündigte der CDU-Senat vor zwei Jahren an, sollten auf dem rund 55 Hektar großen Areal im äußersten Südwesten der Stadt entstehen.

Nach Ansicht des Zukunftsrates muss die Stadt durch das Bauen zudem weiter verdichtet werden. Zwar führe die Stadt „aus uns unbekannten Gründen“ seit Jahren kein Baulückenkataster mehr, kritisierte Menzel. Nach seinen Schätzungen gibt es aber etwa 140 Hektar Altflächen, die intensiver genutzt werden sollten. Dies sind vor allem flache Nachkriegsbauten, die rasch auf die Ruinen zerbombter, mehrstöckiger Wohnhäuser gesetzt wurden.

Den „gravierendsten Verstoß gegen Nachhaltigkeitsforderungen“ sieht der Zukunftsrat in der Förderung des Eigenheimes. Diesem habe der CDU-Senat in den vergangenen Jahren Priorität eingeräumt, obwohl dies im Schnitt sechsmal so viel Platz benötige wie der Geschosswohnungsbau. „1990 wurden ungefähr 25 Prozent der Wohnungen in Eigenheimen fertig gestellt. Seit 2004 stieg dieser Anteil auf über 40 Prozent“ – und das, obwohl 80 Prozent der Hamburger zur Miete wohnten, sagte Menzel. Deshalb fordert der Zukunftsrat, den Mietwohnungsbau zu verstärken, die Förderung von Eigenheimen aber einzustellen. So sollten künftig etwa Bebauungspläne nur noch eine „Eigenheimquote von 20 Prozent“ ausweisen.

Sinnvoll wäre es zudem, Kleingärten neu und intensiver zu nutzen. Diese dürfen nach der jetzigen Gesetzeslage nicht bewohnt werden. Nach Meinung des Zukunftsrates aber dürfe es „kein Tabu“ sein, diese künftig vor allem Familien mit kleinen Kindern „als Ersatz für ein Eigenheim im Grünen“ anzubieten.