Panzer durfte Trecker nicht rammen

Justiz kommt bei Castorverfahren kaum nach: Einsatz bei Atomprotest unverhältnismäßig, urteilt das Landgericht. OVG bestätigt Demoverbot

Während sich Atomgegner und Polizei bereits für den nächsten Castortransport rüsten, der im November stark strahlenden Müll ins Zwischenlager Gorleben bringen soll, hinkt die Justiz mit der Aufarbeitung der Castorkonflikte um Jahre hinterher. Zwei jetzt bekannt gewordene Urteile, die sich mit der Atommüllfuhre vom Herbst 2004 beschäftigen, geben mal der Polizei, mal den Demonstranten Recht.

Ein Urteil des Landgerichts Lüneburg (Az. 2 O 72/06) ist ein Tritt vors Knie der Polizei. Das Gericht rügt den Fahrer eines Räumpanzers, der einen Traktor so heftig rammte, dass dieser mit kaputtem Vorderrad liegen blieb. Der Besitzer des Treckers, ein Landwirt aus Metzingen, erhielt Schadensersatz zugesprochen, dessen Höhe noch ausgehandelt werden muss.

Vor dem Rammstoß hatten sich Atomgegner und Polizisten auf einem Acker in der Göhrde Auseinandersetzungen und eine Verfolgungsjagd geliefert, bei der der Trecker und der Panzer über das Feld kurvten. Die Demonstranten entkamen schließlich in die Wälder. Womöglich aus Frust lenkte der Räumpanzerfahrer sein Gefährt in den zurück gebliebenen Traktor.

Ein klares Fehlverhalten, urteilte das Landgericht. Der Panzerfahrer habe den Schaden am Traktor gewollt herbeigeführt und sich einer „rechtswidrigen und schuldhaften Amtspflichtverletzung“ schuldig gemacht. Eine „objektive Gefahr“, die den massiven Einsatz gerechtfertigt hätte, habe zu diesem Zeitpunkt gar nicht bestanden. Der Beamte hatte hingegen geltend gemacht, der Landwirt könne erwogen haben, mit seinem Trecker später wieder in die Demonstration einzugreifen.

Das Landgericht habe entschieden, „dass sich die Polizei auch im Castorgeschehen nicht zum Herrn der Straße machen darf“, kommentiert Elisabeth Krüger von der Castorgruppe Göhrde. Die Polizeiführung in Lüneburg hat auf weitere Rechtsmittel verzichtet, die Entscheidung ist rechtskräftig.

Viel besser kam die Obrigkeit in einem Verfahren vor dem Lüneburger Oberverwaltungsgericht (OVG) weg (Az. 11 LC 138/06 3). Es bestätigte eine „Allgemeinverfügung“ vom November 2004, mit der die damalige Bezirksregierung Lüneburg während der heißen Phase des Castortransportes ein weit reichendes Demonstrationsverbot entlang der Atommüllstrecke erließ. Diese Anordnungen gibt es alle Jahre wieder. Seit Auflösung der niedersächsischen Bezirksregierungen Ende 2004 stammen sie von der Polizei. Begründet werden die Allgemeinverfügungen wesentlich mit aus Flugblättern und Demo-Aufrufen zusammengeklaubten, vermeintlichen Gewaltbekenntnissen von Atomkraftgegnern.

Während des Castortransports 2004 untersagte die Polizei weitere, von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg (BI) aus Protest gegen das Demoverbot angekündigte Kundgebungen bei der Castorstrecke. „In Hör- und Sichtweite der Transportstrecke standen hinreichende Möglichkeiten zur öffentlichkeitswirksamen Durchführung von Protestversammlungen zur Verfügung“, zitieren Prozessbeteiligte aus der mündlichen Urteilsbegründung des OVG. „Wenn dieses Urteil Bestand hat, sind die Grundrechte auf Versammlungsfreiheit faktisch außer Kraft gesetzt“, sagt BI-Sprecher Francis Althoff. Da das OVG keine Revision zuließ, wollen die Anwälte der Atomgegner eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht einreichen. REIMAR PAUL