die lage am lago
: Hokuspokus

Sie stehen schon wieder da. Zwei Frauen, die eine noch nicht alt, die andere nicht mehr jung, gehen ihrer Mission nach. Sie stehen vor dem Casino in Locarno und verteilen bunte Broschüren. Vorne drauf, wie kann es anders sein, ein Fußballer. Weil die Frauen anders aussehen als die Werbeschnepfen, die uns ständig fußballerbebilderte Werbezettel für irgendetwas, was nichts mit Fußball zu tun hat, aufdrängen wollen, halten wir an und nehmen die Broschüre an uns.

AUS TENERO ANDREAS RÜTTENAUER

Wir blättern auf, und Wynton Rufer, der einstige Stürmer, grinst uns an, auch Kaká und Ottmar Hitzfeld. Zudem Nicola Legrottaglie, ein italienischer Verteidiger, der ein paar Mal in der Nationalmannschaft gespielt hat, von dem es heißt, dass er früher ein ganz Wilder war, der seinen Kopf gegen die Wand schlagen wollte, wenn er einmal ein paar Tage lang keine Frau verführt hatte, heute aber einer ist, der auf die Frau fürs Leben wartet, die ihm Jesus irgendwann schon noch schicken wird. Auch wir finden ganz wunderbar, dass Kaká, dieser wunderbare Fußballer, keine Querschnittslähmung davongetragen hat, als er einst köpflings in einen seichten Swimmingpool gehüpft ist. Ein Wunder, ein göttliches gar, können wir aber darin nicht sehen. Und doch fragen wir uns, ob wir jenen psycho- und parapsychologischen Dingen nicht doch ein wenig aufgeschlossener gegenüberstehen sollten.

Hat nicht ein Uhrmacherkurs das deutsche Team vor zwei Jahren zu WM-Beginn zu Filigrantechnikern gemacht? Hat nicht der Vortrag eines Extrembergsteigers den Deutschen die Angst vor dem Aufstieg in die Weltspitze genommen? Haben nicht die landeskundlichen Lehrfilme, die den Kickern vor jedem WM-Spiel vorgeführt wurden, das Team zu einer Weltmannschaft gemacht? Vielleicht sollten wir die Missionsbroschüre ins Mannschaftshotel schicken, überlegen wir.

Dann fragen wir uns, ob die klinsmannschen Motivationsideen nicht doch Hokuspokus gewesen sein könnten? Die Deutschen haben gegen Polen gewonnen, ohne dass sie zuvor über Glasscherben gelaufen sind. Aus dem Zauberteam von 2006 ist eine Fußballmannschaft geworden. Wir finden das eigentlich ganz gut und lassen Jesus, Rufer, Kaká, Hitzfeld und auch Legrottaglie gute Männer sein.